Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Hiske dachte an die grauenvollen Schreie Gesches, als das Feuer sich durch ihren jungen Körper gefressen hatte. Sie könnte das Wehklagen dieses Kindes nicht ertragen, und doch wusste sie, dass man ihr genau das zumuten würde, damit sie merkte, wohin sie den Jungen angeblich getrieben hatte.
»Warum, Adele?«, flüsterte Hiske immer wieder, bis der Wortsammler den Kopf hob, seine Stirn runzelte und seinen ersten Satz sagte: »Weibeule Messertod großer Mann.« Dann begann der Junge zu schluchzen, wie Hiske noch nie ein Kind hatte weinen hören. Zwischendurch formte er Worte, die sie nur mühsam erkannte und die ihr doch immer klarer machten, was sich in der Nacht ihrer Ankunft am Rand des Lagers abgespielt hatte.
»Beerenrotes Warmsein«, sagte er, nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte und nur noch hin und wieder von einzelnen Schluchzern geschüttelt wurde. Der Wortsammler zeigte auf seine Hände, die scheinbar voller Blut gewesen waren. Dann rieb er sich über beide Schultern und schüttelte sich. Für das Grauen hatte er kein Wort.
Hiske wusste nicht, ob sie all diese Nachrichten erleichterten, denn dem Jungen würde man ohnehin kein einziges Wort glauben und ihr als Toverschen schon gar nicht. Das Wissen des Kindes würde sie vor dem sicheren Tod nicht bewahren können. Es bestätigte sie nur in dem, was ihr ohnehin schon klar war: Der Junge war unschuldig. Genau wie sie selbst.
Jan stürmte mit Anneke im Schlepp auf den Burghof, sah von Weitem, wie der Bader mit Adele rang. Als sie in sich zusammensackte, war ihm klar, dass er zu spät gekommen war. Wie so oft in seinem Leben. Adele wäre die Einzige gewesen, die ihnen hätte weiterhelfen können.
»Warum habt Ihr das Weib getötet?«, schrie Jan.
Dudernixen zeigte mit einem siegessicheren Grinsen im Gesicht auf das Messer, das er noch in der Hand hielt. »Sie wollte mich töten. Ich habe mich lediglich zur Wehr gesetzt, die ist doch wahnsinnig!«
»Sie war die Mutter des Jungen«, stieß Jan hervor.
Dudernixen lachte. »Sage ich doch. Wahnsinn zu Wahnsinn.«
Jan gefiel das selbstgefällige Grinsen des Baders nicht. Er wusste oder ahnte mehr, als je über seine Lippen kommen würde, denn aus unerfindlichen Gründen schien ihm die Situation wie sie war sehr gut in den Kram zu passen. Anneke griff nach Jans Arm, sah ihn an und schaffte es, dass er ruhig blieb. Sie war eine angenehme, verständnisvolle Frau.
Es begann zu regnen, dazwischen mischten sich immer wieder Blitze und Donner. Zuerst tröpfelte es nur, dann aber schüttete es. Jan hatte keinen Mantel dabei und war binnen kurzer Zeit bis auf die Haut durchnässt. Anneke lief zu ihrem Wagen und holte ihm eine Decke. Noch während sie sie ihm um die Schulter legte, fühlte er die Wärme ihrer Hand. Er hielt kurz inne, lächelte die Marketenderin an, wandte sich dann aber in Richtung Keller. Adele war tot, konnte ihnen nicht mehr weiterhelfen. Es fiel ihm sehr schwer, Mitleid mit ihr zu haben. Diese Frau hatte so viel zerstört, es war nicht leicht, das nachzuvollziehen. Bevor er ins Dunkel verschwand, hielt Jan Valkensteyn aber noch einmal kurz inne und drehte sich zum Bader um, der noch immer die Tatwaffe in der Hand hielt und auf das Blut starrte, das langsam daran heruntertropfte.
»Was hat Euch Adele gestanden, bevor Ihr dem Weib das Messer in den Leib gerammt habt?«
»Sie wollte mich töten«, sagte Dudernixen, ließ Adeles Messer neben der Toten fallen und wendete sich ab. »Töten wollte das Weib mich!«
Jan jedoch wandte sich zu Anneke, ohne Dudernixen eines weiteren Kommentars zu würdigen. »Geh zu Schemering, er ist der Einzige, der jetzt noch helfen kann. Ich muss zu Hiske und dem Jungen in den Kerker.«
Anneke nickte und streifte im Weggehen Jans Arm. Der Arzt sah ihr nach, bevor er in den Katakomben verschwand.
Dudernixen blickte der davoneilenden Marketenderin hinterher und überlegte, wie er es dem Weib heimzahlen konnte, dass sie sich mit dem Medicus verbündet hatte und nun gegen die Glaubensgemeinschaft arbeitete. Ihnen schwammen die Felle weg, wenn die Hebamme und der Junge nicht als Schuldige herhalten konnten. Er musste die Ruhe bewahren, jetzt alles so lenken, dass es die Richtung nahm, die er vorgab. Er, der nun die Geschicke der Täufer in die Hand nahm. Er hatte keine Wahl, als alles daranzusetzen, dass die Hebamme und der Junge ihre Strafe erhielten, zumal er mit Magda die Anschuldigungen erst auf den Weg gebracht hatte. Es war wichtig, dass er glaubwürdig
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