Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
blieb. Er betrachtete die tote Adele und merkte gar nicht, dass sich mittlerweile eine große Menschenmenge um ihn versammelt hatte. Jemand begann zu weinen, andere kicherten verlegen.
Dudernixen ordnete seine Gedanken, denn gleich würde Schemering vor ihm stehen und Fragen stellen. Adeles Blutung war zwar versiegt, aber der Regen wusch das Rot aus der Wunde und malte einen rosafarbenen Streifen auf den Weg. Dudernixen wandte sich ab. Er hatte getötet. Saurer Mageninhalt schob sich in seinen Rachen.
Anneke schaffte es mit wenigen Worten, Wolter Schemering von den Ereignissen in Kenntnis zu setzen. Er griff nach seinem Mantel, um sich vor dem Regen, der mittlerweile mit heftigen Böen um das Haus wehte, zu schützen. Blitz wechselte sich mit Donner fast ohne Pause ab, die Luft erschien dick und grün, erschwerte das Atmen. Dennoch eilten die beiden zur Burg, als gelte es ihr eigenes Leben.
Trotz des Gewitters schien fast das ganze Lager versammelt. Schemering warf einen Blick auf die tote Adele, wies aber gleichzeitig die Wachen an, ihn und Anneke in den Kerker zu lassen. »Jan ist schon unten«, sagte Anneke und fragte sich, wie er es geschafft hatte, sich an den Wachen vorbeizuschieben. Vermutlich hatte er die Verwirrung wegen Adeles Tod genutzt, um unauffällig ins Dunkel zu verschwinden. Jan wartete vor der Zelle, als Anneke zu ihm stieß.
Hiske saß mit dem Jungen in einer Ecke, beide schliefen, dicht aneinandergekuschelt. Sie schienen von dem Unwetter, das traußen tobte, noch gar nichts bemerkt zu haben.
»Hiske!«, flüsterte Jan. Seine Stimme hallte an den feuchten Wänden wider und hinterließ ein kurzes gespenstisches Echo.
Die Hebamme blickte sich um, sie schien verwirrt, als sie so unvermutet seine Stimme vernahm. Als sie den Arzt erkannte, glitt ein Leuchten über ihr Gesicht. »Jan?«, fragte sie.
»Ja, ich bin`s! Ich habe Neuigkeiten.«
»Ich auch.« Hiske näherte sich der Zellentür.
Anneke schwieg, beobachtete die beiden, die sehr vertraut miteinander umgingen. Der Arzt sah die Hebamme so an, dass es ihr einen Stich versetzte.
»Ich weiß jetzt, wer seine Mutter ist«, begann Jan.
»Ich auch. Und ich weiß, wer die Morde begangen hat. Der Junge hat es gesehen!«
»Auch sie?«, fragte Jan.
»Auch Adele«, bestätigte Hiske.
Er schluckte. Adele, die stille, liebevolle und verletzte Seele war eine Bestie. »Aber warum?«, fragte Jan. »Warum hat sie von Ascheburg und Tyde getötet und dazu Krechting fast umgebracht?«
Jetzt begann Anneke zu weinen. Ihr ganzer Körper bebte, es brach aus ihr heraus, wie Wasser, das lange hinter einem Damm gestaut war. »Ich glaube, ich weiß es. Jetzt verstehe ich es.«
Die drei verharrten still, bis sie Schritte auf der Treppe vernahmen.
Das Flackern von Fackeln erhellte erst das Ende des Ganges, dann erleuchtete es den ganzen Bereich vor der Zelle. Jan erkannte erst jetzt, in welch erbarmungswürdigen Zustand sich sowohl Hiske als auch der Junge befanden.
Wolter Schemering hatte Dudernixen im Schlepp. Er hatte die letzten Sätze vernommen, und das Unbehagen stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Sprich!«, forderte er Anneke auf.
»Als der Knabe auf die Welt kam, hat sie geflucht, wie ich es noch nie von einer Frau gehört habe. Ich dachte die ganzen Jahre, sie meint ihr Kind, aber sie meinte von Ascheburg.«
Schemering sah Anneke fragend an.
»Sie hat das Kind im Moor in einer Hütte bekommen, und als sie unter den Schmerzen der Geburt stand, hat sie gerufen, sie wünsche ihm den Tod, und wenn Gott kein Einsehen habe, würde sie eines Tages dafür sorgen, dass es einträte.« Anneke wischte sich die Tränen mit dem Ärmel ihres Gewandes ab. »Ihre Augen waren von einem Abscheu geprägt, den ich noch nie bei einem Menschen gesehen habe. Ich meine, es war eine Mischung aus Trauer, Verletztheit und unendlichem Hass.«
»Was macht Euch so sicher, dass sie nicht das Kind meinte?«
»Ich habe sie beobachtet. Auch wenn sie so getan hat, als ob es ihr lieber sei, wenn das Kind stirbt, lag doch in ihren Augen so viel Liebe und Trauer, sie hätte dem Jungen nichts antun können. Sie wusste auch, dass ich mich ständig zu ihm geschlichen habe. So lange, bis es nicht mehr ging. Er war älter geworden, ich lief irgendwann Gefahr, dass er mich erkennt.« Sie schluchzte erneut auf. »Das hat er dann auch. Ich habe mit Steinen nach ihm geworfen, als er mich im Lager gesucht hat.«
Hiske war derweil zum Wortsammler zurückgekrochen und hielt ihn im Arm.
»Ich
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