Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Berg, dass sie immerhin genau dann in der Burg aufgetaucht war, als man von Ascheburg gefunden hatte.
Anneke schloss die Augen. Sicher würde gleich einer kommen, für den sie den Rock lüften und die Beine spreizen konnte. Für ein gutes Stück Käse mit Brot und Bier lohnte es sich allemal, auch wenn sie ihren Magen danach oftmals hinter ihrem Wagen erleichterte. So war das Leben.
Kapitel 4
Garbrand hatte dem Wein ein bisschen zu viel zugesprochen. Er sah nicht mehr nur einen Arzt, er sah zwei, hin und wieder sogar drei.
Jan Valkensteyn würde nicht gerade glücklich darüber sein, dass er so unpässlich war, aber seit der alte Mönch sein Heimatland hatte verlassen müssen, kam es immer häufiger vor, dass er nicht aufhören konnte zu trinken. Meist gab es nur Bier, aber hin und wieder tischte Jan Valkensteyn auch guten Wein auf, der nicht zu verachten war. Wenn er mal dem einen, mal dem anderen Gesöff richtig gut zugesprochen hatte, war die Welt schön leicht und voller Farbe. Das Leben war für eine kurze Zeit wieder lebenswert.
Garbrand war aus England geflohen, nachdem Heinrich der VIII. sein Kloster geräumt und alle Mönche auf die Straße gesetzt hatte. Ein Armenhaus hatten sie aus dem Land gemacht. Keiner scherte sich um die armen Teufel, die nun kein Dach mehr über dem Kopf hatten. Und dabei ging es nicht nur um die Mönche, sondern auch um die Siechenden und Verkrüppelten und um die Irren, die sonst niemand haben wollte. Sie hatten danach keine Bleibe mehr gehabt und waren nach und nach an den Wegrändern verreckt, weil sich kein Mensch mehr um sie kümmerte. In London sprach man davon, eine Anstalt bauen zu wollen, doch geschehen war nichts. Nur für die Reichen gab es ein Haus, in dem sie ein paar arme Seelen für viel Geld zurücklassen konnten.
Garbrand war in seinem Land nun ein Geächteter, es war gefährlich, sich als Mönch zu erkennen zu geben, und so war er schließlich über den Kanal geflohen und nach Holland gekommen, wo Jan Valkensteyn ihn in Amsterdam aufgegabelt hatte. Völlig verwahrlost, dem Bier verfallen und verlaust an Stellen, die er niemandem hätte preisgeben wollen. Nach gründlicher Rasur war er die Viecher los. Jan Valkensteyn betrachtete den Mönch mit Argwohn, hin und wieder erkannte Garbrand das an seinem Gesichtsausdruck, aber er verlor kein Wort darüber, sondern hatte sogar gesagt, dass der Mönch bei ihm bleiben könne. Garbrand hatte nie etwas über Jans Gesinnung herausfinden können. Er gab nicht preis, ob er sich der römisch-katholischen Kirche zugehörig fühlte oder doch eher den Reformierten, was allerdings in diesen Zeiten ein Wagnis war. Seit Karl V. die Edikte gegen den Protestantismus verfasst hatte, wehte auch in Holland ein schärferer Wind.
Garbrand fürchtete sich, schwieg, wenn über die Religionen gesprochen wurde. Er hatte zu viel Blut, zu viele aufgeschlitzte Kehlen gesehen, als dass er noch willens war, ein Wagnis einzugehen. Er hatte seine Klosterkleidung abgelegt, damit ihn keiner erkannte. Ursprünglich hatte er nach Coelln gewollt, doch dann hatte ihn der Mut verlassen, und bei Jan Valkensteyn war es sehr bequem. Er war ein Mann, der sich kümmerte, egal, woran seine Mitmenschen glaubten. Ob ans Fegefeuer, an die Wandlung von Blut in Wein oder daran, dass die Welt bald unterging. Jan Valkensteyn war einfach Arzt und ein Mensch.
Doch Jan hatte auch merkwürdige Ansichten. Erst kürzlich hatte Garbrand in einem Gespräch mitbekommen, dass Jan die Viersäftelehre mit Argwohn betrachtete und dass er Tote aufschneiden wolle, weil noch zu viele Dinge unerforscht seien. Das würde die Kirche nie dulden, das war Sünde. Also schloss der Mönch, dass Jan Valkensteyn kein Katholik war. Doch Garbrand würde seinen einzigen Freund bestimmt nicht verraten, sollte er doch aufschlitzen, wen er wollte.
Jan Valkensteyn hatte an renommierten Universitäten, auch in Pisa, studiert und schleppte Bücher mit sich herum, die Garbrand als gläubiger Mensch nicht einmal in die Hand nehmen wollte. Aufgeschnittene Körperteile waren darin abgebildet, nackte Menschen. Immer wenn Jan Zeit hatte, blätterte er in den Schriften herum, nickte mit dem Kopf und flüsterte so etwas wie, Vesalius habe recht, Paré habe ein Wunder vollbracht oder Girolamo Fracastoro sei ein Segen für die Menschheit.
Garbrand verließ dann regelmäßig das Zimmer, es war besser, er bekam von diesem Tun nicht mehr mit als nötig, dann musste er sich selbst weniger beichten und sich
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