Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
umkleiden. »Danke übrigens, dass du dir Sorgen um meine Unterbringung machst, aber ich habe bereits eine Unterkunft. Adele Stausand hat mir eine Bleibe angeboten.« Sie trank ihre Suppe aus und stand auf. »Ich mache mich jetzt auf zu ihr. In welche Richtung muss ich gehen?«
»Adele lebt kurz vor Hebrichhausen in der roten Kate. An der
Olden Krochtwarft
vorbei, wo Krechting wohnt, dann in die Marsch rein, bis auf der linken Seite eine Hofstelle kommt. Kannst du nicht verfehlen«, sagte Anneke. Sie zupfte ihr Kleid und ihr Haar zurecht, steckte den Reif hinein. Ihr Arbeitstag begann, Mord hin oder her.
Hiske drehte sich noch einmal um. »Kanntest du den Toten eigentlich?«
»Wir kennen uns alle hier.«
»Ich meine näher.« Hiske hob die Brauen, und die Marketenderin verstand, was die Hebamme meinte.
»Er kam öfters. Hat aber nie viel geredet, nur hochgeschreckt ist er im Schlaf oft. Hat was von Blut geredet und vom Neuen Jerusalem. Wenn er dann aufgewacht ist, hat er geguckt, ob ich fest schlafe, so als wenn er Angst hätte, dass ich etwas gehört haben könnte.« Anneke kicherte, schlug sich dann auf den Mund, als habe sie schon zu viel gesagt. Ihre Stimme wurde ernst. »Hab mich immer schlafend gestellt. Geht mich ja auch nichts an. Wir reden hier nicht über das, was war. Ist besser. Jeder hat seine Vergangenheit, und jetzt ist jetzt.«
Hiske schaute die Marketenderin noch einmal kurz an.
»Wer seid ihr, Anneke? Ihr alle hier?«
Sie erhielt keine Antwort.
Hiske klopfte an Adeles Tür, die rasch geöffnet wurde, so als habe Adele bereits auf die Hebamme gewartet. »Habe dir deine Kammer schon gerichtet«, sagte sie.
Hiske konnte gar nicht so schnell gucken, wie sie in einen Raum geschoben wurde, der zwar klein, aber wider Erwarten hell, freundlich und sehr sauber war. Darin befand sich ein Tisch mit zwei dreibeinigen Hockern davor, eine Bettstatt, die in die Wand eingelassen und mit einem Vorhang versehen war. An der Wand stand ein weiterer kleiner Tisch, darauf ein Federkiel mit einem Tintenfass. Darüber war ein Regal angebracht, auf dem mehrere leere Behälter standen.
Adele strahlte Hiske an. »Ich dachte, du brauchst nicht nur ein Bett, sondern auch einen Tisch, an dem du mit den Frauen, die zu dir kommen, sitzen kannst. Und natürlich einen Sekretär. Das da«, sie zeigte auf das Regal, »sind Behälter für deine Kräuter und das, was man als Heilkundige so braucht. Ich habe auch noch einen Garten. Der Boden ist zwar schwer, aber du kannst meinen Kräutergarten mitnutzen. Da stehen schon etliche Pflanzen; wenn du magst, kannst du noch welche dazu anbauen.«
Hiske sah den flehenden Blick Adeles und die stumme Bitte zu bleiben. Der Frau war sehr gelegen daran, dass sie hier einzog, und auch Hiske empfand große Sympathie für Adele Stausand.
»Ich möchte auch keinen einzigen Schap für diese Kammer. Hilf mir mit deinen Kräutern, wenn ich krank bin. Ich habe oft ein Reißen in den Gliedern oder einen merkwürdigen Schmerz im Hals. Der Rest wird sich finden.«
»Das ist nicht viel für das, was ich bekomme.«
»Lass gut sein, bin froh, wenn du hier bist.«
Hiske wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. So sagte sie einfach nur: »Danke«.
Adele wirkte, als habe sie noch etwas auf dem Herzen. Sie zupfte an ihrer Haube herum, zog eine Haarsträhne darunter hervor. Dann strich sie über die Schürze.
Hiske sah sie fragend an.
»Eine schlimme Sache mit dem Tod von Cornelius«, sagte Adele schließlich. Ihr Blick wirkte dabei auf eigenartige Weise berührt, obgleich sie den Anschein erwecken wollte, dass es sie kalt ließ.
»Das ist schon komisch, irgendwo hinzukommen, und das Erste, was man mitbekommt, ist ein Mord«, bestätigte Hiske. »Wo ist da Gott?«
»Du bist nicht gläubig?«
»Die Wahrheit ist, dass ich es nicht weiß«, antwortete Hiske. »Es gibt so viele Dinge, die man hört, von allem stimmt etwas und dann auch wieder nicht. Verstehst du?«
Adele nickte. »Wenn man den Falschen zuhört, kann man das Falsche aufschnappen und glauben, es sei richtig«, gab sie zur Antwort, wirkte aber abgelenkt, weil eine Gestalt auf den Hof eilte. Es war eine Frau, deren Gesicht gezeichnet war von tiefster Verzweiflung. Adeles Miene verdunkelte sich für einen Moment, es schien fast, als fühle sie den Schmerz der Frau körperlich mit. »Es ist Tyde«, sagte sie und ging zu Tür.
Adele führte die Besucherin in die Küche und drückte sie auf die Bank, wo Tyde in haltloses Schluchzen
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