HISTORICAL Band 0264
hier vor Lady Ottoline zu rechtfertigen“, erklärte Sally leicht verbittert. „Die Wahrheit ist, dass Connie mit Jacks Cousin Bertie durchgebrannt ist, und Jack und ich wollen die beiden finden. Jack möchte nicht, dass Lady Ottoline davon erfährt, denn soweit ich weiß, ist Mr. Basset ihr Erbe.“
Greg antwortete nicht sofort. Er klopfte seine Pfeife an der Bank aus und zog seinen Tabaksbeutel hervor, um sie frisch zu stopfen. Erst als er sie erneut angezündet hatte, sprach er weiter. „Jack ist ein Narr, wenn er glaubt, die alte Dame täuschen zu können“, meinte er nachdenklich. „Ihr Verstand ist messerscharf. Und es überrascht mich, dass du dich darauf eingelassen hast, Sally. Das sieht dir so gar nicht ähnlich.“
Sally seufzte. „Mir ist auch nicht wohl dabei“, gab sie zu. „Ich tue das nur Connie zuliebe.“
„Du übernimmst zu viel Verantwortung für das Mädchen“, wandte Greg ebenfalls seufzend ein. „Sie sollte die Konsequenzen für ihre Fehler selbst tragen, Sally.“
„Ich weiß.“ Sie musste daran denken, dass Matty genau das Gleiche gesagt hatte. „Aber ich habe eine Verpflichtung Connie und Nell gegenüber, Greg …“
„Unsinn“, fiel er ihr grob ins Wort. „Du hast schon immer unter der fixen Idee gelitten, du hättest Schuld an Sir Peters Tod und deswegen hätten deine Schwestern den Schutz ihres Vaters entbehren müssen.“
Sally errötete. „Das ist ja auch wahr.“
„Nein, das ist es nicht.“, erwiderte Greg heftig, aber sein Tonfall wurde sanfter, als er ihr Gesicht sah. „Du hättest nichts tun können.“
Einen Augenblick lang drohten sie die Erinnerungen zu überwältigen. Sally starrte auf das grüne Wasser im Burggraben und sah wieder vor sich, wie ihr Vater im Fluss versank und sie verzweifelt versuchte, ihm die Hand hinzustrecken und ihn zu retten. Mit einem Schaudern verdrängte sie diese Bilder.
„Und was ist nun mit dir und Jack?“, wollte Greg wissen.
Sally merkte selbst, dass sie rot wurde. „Ich kenne ihn eigentlich kaum.“
„Was wohl kaum eine Antwort auf meine Frage ist“, gab Greg trocken zurück.
„Also gut“, lenkte Sally ein. Greg war schon immer sehr scharfsinnig gewesen, es hatte keinen Zweck, ihm etwas vormachen zu wollen. „Ich gebe zu, da war etwas zwischen uns, aber das Ganze beruhte auf einem Missverständnis. Das ist alles.“
Er betrachtete sie nachdenklich. „Wenn er dich verletzt hat …“
„Hat er nicht“, unterbrach Sally ihn hastig. Sie konnte nicht über ihre Gefühle sprechen, nicht einmal mit Greg. Betrübt lächelte sie ihn an. „Danke, Greg, dass du für mich immer wie der Bruder bist, den ich nie hatte.“
Greg verzog das Gesicht. „Was nicht gerade das ist, was ich mir von dir wünsche, wie du weißt.“ Auch sein Lächeln war nicht froh. „Du hast mich stets als Bruder betrachtet, aber ich dich nie als Schwester. Das ist ja die Tragödie.“
Sally schwieg. Das war genau das Problem. Es war so verlockend gewesen, mit Greg fortzulaufen, als sie so entsetzlich unglücklich mit Jonathan gewesen war. Doch selbst in ihrem tiefsten Elend hatte sie erkannt, dass Greg das nicht verdiente, weil sie ihn nicht liebte. Seine Liebe zu ihr für ihre eigenen Zwecke auszunutzen war ihr schon damals schäbig vorgekommen, und sie würde es jetzt immer noch schäbig finden. „Dein Ruf lässt nicht darauf schließen, dass du dich nach mir verzehrst“, bemerkte sie leichthin.
„Meinen Ruf habe ich mir nur erworben durch meine Versuche, dich zu vergessen!“, stellte er voller Inbrunst richtig.
„Hänge mir das nicht an“, gab Sally warm zurück. „Ich bin nicht dafür verantwortlich, dass du dich in einen Draufgänger und Glücksspieler verwandelt hast. Wenn du behauptest, ich hätte dich retten können, kannst du etwas erleben!“
„Du hättest mich retten können“, antwortete er ernst und seufzte. „Ich weiß, du hast mich nie gebraucht“, fügte er hinzu und sah sie mit seinen blauen Augen ruhig an. „Das habe ich begriffen.“
„Ich brauche dich aber“, erwiderte Sally. „Ich brauche dich als Freund.“ Flüchtig dachte sie an die zweihundert Pfund, die sie Nell geschickt hatte. Wenn sie doch nur Greg um ein Darlehen gebeten hätte und nicht Jack. Aber sie war schon immer so verflucht stolz auf ihre Unabhängigkeit gewesen, das war eine ihrer größten Schwächen. Sie wäre nie mit der aufgehaltenen Hand zu Greg gegangen, um ihn um Geld zu bitten. Die Forderung nach zweihundert Pfund hatte sie
Weitere Kostenlose Bücher