HISTORICAL Band 0264
während des ganzen Essens nicht aus den Augen gelassen. Ich hätte nie gedacht, dich einmal so tief sinken zu sehen!“
„Holt geht mir auf die Nerven“, stieß Jack zähneknirschend hervor und musste in dieser Sekunde mit ansehen, wie Gregory Sally lachend und galant die Hand küsste. „Ziemlich dreist, so etwas mit meiner vermeintlichen Verlobten zu machen!“
„Ach was, Greg ist harmlos“, winkte Stephen gelassen ab. „Er tut das nur, um dich zu ärgern und weil er schon immer eine Schwäche für Miss Bowes hatte. Er war ein Protégé ihres Vaters, und soweit ich weiß, wollte er damals mit Miss Bowes durchbrennen, als ihre Ehe anfing, wirklich unangenehm zu werden.“ Sobald er Jacks wütenden Blick sah, fügte er hastig hinzu: „Sie hat ihn natürlich in keiner Weise dazu ermutigt.“
„Davon hat sie mir gar nichts gesagt“, erwiderte Jack. Er spürte, wie er mehr und mehr die Beherrschung verlor. Also war Gregory Holt ein alter Verehrer von Sally. Ihre Situation damals erinnerte auf gespenstische Weise an seine Flucht mit Merle vor all den Jahren. Nur dass Sally so vernünftig gewesen war, nicht fortzulaufen und damit nicht in eine so verzweifelte Lage zu geraten wie er und Merle. Er atmete tief durch. Zumindest wusste er genau, dass sie nie ein Liebespaar gewesen waren, auch wenn das sicher nicht an Holt gelegen hatte. Am liebsten wäre er geradewegs zu ihm hinübergegangen und hätte ihn zur Rede gestellt, aber da Greg ein Cousin von Stephen war, sie sich seit Jahren kannten und er keinen Skandal verursachen wollte, unterließ er das lieber. Was, zum Teufel, war nur mit ihm los? Was war aus seiner Selbstbeherrschung geworden? Er war mit Holt seit ihrer gemeinsamen Schulzeit befreundet und hatte vorher noch nie das Bedürfnis verspürt, dem anderen Mann die Faust ins Gesicht zu schlagen.
Stephen lächelte verständnisvoll. „Nun, Miss Bowes ist nicht mit dir verlobt, also hielt sie es vielleicht nicht für nötig, es dir zu sagen. Ich habe den Eindruck“, fügte er hinzu, „du solltest einmal etwas Ordnung in dein Liebesleben bringen, du bist das reinste Nervenbündel. Ich dachte immer, du wärst der geborene Herzensbrecher, aber im Moment scheinst du nur Chaos anzurichten.“
„Vielen Dank“, sagte Jack kleinlaut; Stephen hatte den Nagel genau auf den Kopf getroffen. Bevor er Sally Bowes begegnet war, hatte er keine Schwierigkeiten damit gehabt, seine Gefühle in Schach zu halten oder sein Liebesleben ebenso unverbindlich wie befriedigend zu gestalten.
Er sah auf, als Gregory Holt ihm eine Hand auf die Schulter legte. „Auf ein Wort, Kestrel.“
Das Lächeln erstarb in Jacks Augen, als er Gregs Gesichtsausdruck wahrnahm. Er hatte Greg immer für einen stets gelassenen, unbekümmerten Menschen gehalten, ähnlich wie Stephen, aber nun verhieß sein Blick nichts Gutes. Holt sah aus, als würde er Jack am liebsten umbringen.
„In meiner Eigenschaft als Freund habe ich Miss Bowes davor gewarnt, dich zu heiraten, Kestrel“, teilte Greg ihm schmallippig mit. „Du würdest einen lausigen Ehemann abgeben.“
Jack wollte aufspringen, aber Stephen hielt ihn am Arm fest. „Bleib ruhig“, murmelte er.
„Das geht ihn aber verdammt noch mal nichts an!“, gab Jack zähneknirschend zurück.
Mit einem ironischen Lächeln neigte Holt den Kopf zur Seite. „Miss Bowes ist schutzlos. Es geht mich sehr wohl etwas an, da ich wie ein Bruder für sie bin.“
„Ein Bruder!“, brauste Jack ungläubig auf.
„So ist es“, bestätigte Greg. „Ich kann dir nur zu deinem eigenen Wohl raten, dich ihr gegenüber vorbildlich zu verhalten, Kestrel, denn ich würde unsere langjährige Freundschaft nur ungern dadurch beenden, dass ich dir eine Kugel durch den Kopf jage.“ Er verneigte sich knapp und ging weiter.
Jack ließ den Atem entweichen, den er, wie er erst jetzt merkte, während des ganzen Wortwechsels angehalten hatte.
„Verdammt, das hat er ernst gemeint.“ Stephen starrte Holt nach, das Weinglas auf dem halben Weg zum Mund.
„Todernst“, stimmte Jack zu. Ihm wurde klar, dass Gregory Holt schon seit sehr langer Zeit in Sally verliebt sein musste. Warum sie ihn wohl abgewiesen hatte? Holt war reich, adelig – der perfekte Fang für ein Mädchen, das auf Geld aus war. Selbst wenn sie mit ihm durchgebrannt wäre und den Skandal einer Scheidung hätte überstehen müssen, so hätten sie inzwischen längst verheiratet sein können.
Jack war es geschäftsbedingt gewohnt, die Dinge genau
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