HISTORICAL Band 0264
hinaufgingen. „Und er ist natürlich reich. Ich kann verstehen, warum du ihn heiraten willst.“ Sie seufzte. „Aber wirklich, Sally, ich könnte dich umbringen, weil du so einen Eklat ausgelöst hast! Ich wollte doch im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen!“
Sallys geliehene Schuhe drückten und trugen noch zu ihrer Gereiztheit bei. „Nun, deswegen brauchst du dir wohl kaum Sorgen zu machen, Connie. Dir ist es in kürzester Zeit gelungen, bei allen einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Abgesehen davon wird dieses Wochenende Lady Ottolines Geburtstag gefeiert, und keine von uns sollte ihr da die Schau stehlen.“
Connies Miene heiterte sich auf. „Ja, und Bertie hat mir eben erzählt, dass er der Erbe der alten Dame ist! Warum er diese Information bis jetzt vor mir geheim gehalten hat, ist mir ein Rätsel, denn so habe ich einen ganzen Tag vertan, an dem ich mich bei ihr hätte einschmeicheln können, aber was soll’s.“ Sie griff nach Sallys Arm und ließ dabei Asche auf den Ärmel des von Charley ausgeliehenen Kleides fallen. „Du musst mir berichten, wie sie ist, Sally, und wie ich mich bei ihr beliebt machen kann.“
„Ich kann dir nicht helfen“, wehrte Sally ab. Sie war wütend über diesen neuerlichen Beweis der unverfrorenen Habgier ihrer Schwester. „Lady Ottoline wird ihre Entscheidung selbst fällen.“
Connies Gesicht verzerrte sich vor Wut. „Ich muss schon sagen, du bist ganz schön eingebildet geworden! Wahrscheinlich weil du mit Mr. Kestrel verlobt bist. Nun, ich werde eine Lady sein, lange bevor du Duchess wirst!“ Sie sah über das Treppengeländer nach unten, wo Jack und Stephen standen und plauderten. „Weißt du, Sally, ich glaube, ich bin glücklicher mit meinem Bertie, als du es je mit Jack sein wirst.“ Sie fuchtelte ein wenig mit ihrer Zigarette herum. „Ich musste Bertie zwar versprechen, nicht darüber zu reden, aber ich finde, du solltest es wissen …“
„Was sollte ich wissen?“ Sally war etwas abgelenkt, da Jack gerade zu ihr hochgesehen und sie mit einem Lächeln bedacht hatte, bei dem ihr Herz wieder vor Freude schneller geschlagen hatte.
„Dass Mr. Kestrel seine Geliebte ermordet hat natürlich!“ Befriedigt nahm sie Sallys entsetztes Gesicht zur Kenntnis. „Da! Ich habe Bertie doch gleich gesagt, dass du davon nichts wissen würdest. Solche Dinge erzählt man ja auch kaum, wenn man frisch mit einer Frau verlobt ist, nicht wahr?“ Nachdem sie derart ihren Giftpfeil abgeschossen hatte, schob sie sich an Sally vorbei und ging allein weiter nach oben.
8. KAPITEL
Sally wusste nicht genau, wie sie nach draußen gelangt war. Sie erinnerte sich vage, die Treppe wieder hinuntergeeilt zu sein und Jacks und Stephens entsetzte Gesichter gesehen zu haben, als sie an ihnen vorbeistürmte. Jack streckte den Arm nach ihr aus und rief ihren Namen, aber sie wich ihm aus und riss die Haustür auf. Wie betäubt rannte sie über die Terrasse und blieb erst an der flachen Mauer stehen, hinter der der Burggraben lag. Sie stützte die Hände darauf und sog tief die frische Nachtluft ein, um ihre Übelkeit zu bekämpfen.
Sie dürfen nicht all den Gerüchten über seine Vergangen heit Glauben schenken , hatte Lady Ottoline erst am vergangenen Abend zu ihr gesagt. Aber es war schwer, diesen Rat zu befolgen, wenn Jack selbst sich weigerte, über seine große Liebe zu sprechen. Bis jetzt wusste Sally schließlich nichts weiter, als dass er sie geliebt hatte, sie miteinander durchgebrannt waren und sie dann erschossen worden war. Der Gedanke, dass Jack möglicherweise Merle erschossen hatte, war niederschmetternd und unmöglich, selbst wenn es sich um einen tragischen Unglücksfall gehandelt hatte.
Ein eisiger Schauer der Verzweiflung lief Sally über den Rücken. Das konnte sie sich von Jack nicht vorstellen. Sie konnte es einfach nicht. Und das lag nicht daran, dass sie ihn liebte. Sie glaubte nicht, dass sie deswegen blind für seine Fehler war. Sie wusste, wie unbarmherzig Jack sein konnte. Und sie wusste auch, dass seine Geliebte tot war. Aber alles andere …
Das würde das Ausmaß des Skandals erklären, flüsterte ihr eine leise innere Stimme zu. Es würde erklären, warum er ins Ausland verbannt wurde. Es würde Jacks Schweigen erklären …
„Sally?“
Völlig überrascht stellte Sally fest, dass Jack plötzlich neben ihr stand. Der Nachtwind wehte sein Haar durcheinander, und er strich es geistesabwesend glatt. Er sah sie besorgt an, und sie merkte, dass
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