HISTORICAL Band 0272
verhätschelte Prinzessin vorzufinden, die sich bei jeder Gelegenheit seufzend beklagte. Der Umhang rutschte ihr von den Schultern und landete auf dem Pflaster. Es war so stockfinster, dass weder das Kleidungsstück noch die Tasche zu sehen waren.
„Bleiben Sie einen Moment stehen, ich suche die Sachen.“ Als Jack sich nach ihnen bückte, hörte er plötzlich lauter werdende Stimmen. Der Zugang zur Gasse wurde auf einmal von Fackelschein erhellt, dazu polternde Stiefelschritte, die sich bedrohlich näherten. Jack richtete sich blitzschnell auf, warf sich gegen den Holzverschlag der nächsten Verkaufsbude und zerrte Eva mit sich. Der Durchgang war nun von den Fackeln vollkommen erleuchtet. „Machen Sie bloß keine Szene.“ Das war alles, was er zischen konnte, bevor er sich über sie neigte und seinen Mund auf ihre Lippen presste.
„Mmmpf!“ Sie versuchte zu protestieren und ihren Kopf nach hinten zu reißen. Jack aber hielt ihn mit einer Hand fest, den anderen Arm hatte er wie eine Eisenklammer um ihren Körper geschlungen. Er gab sich den Anschein, sie leidenschaftlich zu küssen, was jedoch nicht gerade einfach war, da die Dame versuchte, ihn in die Zunge zu beißen.
„Hallo! Was haben wir denn da?“, fragte eine arrogante Stimme. „Lässt du uns auch mal ran, guter Mann?“
Jack hob kurz den Kopf, erhaschte einen flüchtigen Blick auf wütend blitzende braune Augen, bevor er Evas Gesicht an seine Schulter presste und ihr Grollen im Stoff erstickte. „Tut mir leid, die Dame gehört mir!“Vor ihm stand etwa ein halbes Dutzend Offiziere in hellblauen Maubourg-Uniformen. Etlichen von ihnen war er bereits bei seinen Erkundungsgängen begegnet, als er die Befestigungsmauern und Wehrtürme der mittelalterlichen Burg inspizierte. Die Offiziere waren angetrunken, aber nicht so stark, um Streit zu suchen.
Jack bemühte sich um einen weltmännischen Akzent der Nordfranzosen, in der Hoffnung, damit einschüchternd auf die Soldaten zu wirken. Keineswegs wollte er sie provozieren – was er von der Großherzogin nicht behaupten konnte, die sich immer noch verzweifelt gegen seine Zudringlichkeiten wehrte. Seine Finger wühlten sich in ihr duftendes Haar, während er die weichen Rundungen ihres Busens spürte. Er sah sich gezwungen, sie noch enger an sich zu pressen, mit dem Ergebnis, dass er sie damit an ein gewisses Körperteil drückte, das sich augenblicklich mit Begeisterung an dem trügerischen Liebesspiel beteiligte. „Geduld, Schätzchen, warte, bis die Herren endlich die Güte haben, sich zurückzuziehen.“ Worauf die Großherzogin den Versuch unternahm, ihm das Knie in besagte höchst empfindliche Stelle zu stoßen. „Freunde, habt ein Einsehen. Der Gemahl der Dame wird sich jeden Moment auf die Suche nach ihr begeben – und uns um unser Vergnügen bringen.“
Diese Bemerkung hatte den erwünschten Erfolg. Unter wieherndem Gelächter feuerten die Soldaten das Paar mit obszönen Sprüchen an, bevor sie ihren Weg fortsetzten. Doch dann drehte der ranghöchste Offizier, wie Jack an seinen Epauletten erkannte, sich noch einmal um.
„Oh, die Dame hat ihren Umhang verloren. Wenn Sie gestatten.“ Er bückte sich danach, trat näher, um ihn Eva um die Schultern zu legen. Dabei hielt er die Fackel höher, um sie näher in Augenschein zu nehmen, wie Jack grimmig vermutete.
3. KAPITEL
Colonel de Presteigne! Beim Klang seiner Stimme erstarrte Eva, hörte jäh auf, sich gegen die empörenden Zudringlichkeiten des Engländers zu wehren, klammerte sich stattdessen an ihn und barg ihr Gesicht an seinem Hals. Es handelte sich nicht um ein paar junge Soldaten, die ihre Großherzogin im Kleid einer einfachen Bürgerin in der dunklen Gasse womöglich nicht erkennen würden, sondern um einen hochrangigen Offizier, der die Burgherrin sehr wohl kannte.
Sie spürte Jacks kräftigen gleichmäßigen Pulsschlag und zwang sich, Ruhe zu bewahren. „Hier, gestatten Sie, ma chère. “ Das Gewicht des Umhangs legte sich schwer auf ihre Schultern, und die Finger des Colonels strichen dabei über ihren Nacken. Es war genau die gleiche Geste wie vor wenigen Tagen bei einem festlichen Empfang, als er ihr den verrutschten Seidenschal um den Hals gelegt hatte in der dreisten Spekulation, sie könne nicht unterscheiden, ob diese flüchtige Berührung absichtlich oder zufällig wäre. Nun erkannte sie die verstohlene Zärtlichkeit, gewiss eine bevorzugte Koketterie seinerseits, mit der er sich bei Frauen einzuschmeicheln
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