HISTORICAL Band 0272
entgegnete Eva seelenruhig. „Anschließend nehmen wir uns die Laboratorien vor und sehen dort nach, ob wir in ihnen etwas finden. Die Halle, in der die Essenzen destilliert werden, scheint mir nicht von Belang zu sein, da die Herstellung der verschiedenen Düfte normal weitergeführt wird. Andernfalls hätte ich etwas darüber erfahren.“
„Sie erleichtern mir die Arbeit, wenn Sie mir einen Plan der Manufaktur aufzeichnen.“ Jack kramte in einem Seitenfach, das an der Tür der Kutsche angebracht war, und holte Bleistift und Papier hervor.
„Ich sagte Ihnen bereits, Mr. Ryder, ich begleite Sie.“ Eva schob ihm die hingehaltenen Schreibutensilien wieder zu. Seine verschlossene Miene ließ sie wissen, dass er nicht die Absicht hatte, ihrem Wunsch zuzustimmen. „Ich kann die Manufaktur jederzeit betreten“, erklärte sie unbeirrt. „Und ich kann sie einem Besucher zeigen, niemand wird mich daran hindern. Der Pförtner, der Nachtdienst hat, wird sich kaum über meinen späten Besuch wundern, daran ist er gewöhnt. Wenn sie nicht gezwungen sind, gewaltsam einzubrechen, helfe ich Ihnen damit nur, das Risiko zu verringen und die Dinge zu beschleunigen.“
„Das stimmt allerdings“, gab Jack widerstrebend zu und spürte ihre Verblüffung über seine überraschende Einsicht. „Ich gehöre nicht zu den Leuten, die einen guten Vorschlag ablehnen, nur weil er nicht von mir ist.“
„Ich dachte, Sie weisen ihn von sich, weil ich eine Frau bin oder wegen meiner gesellschaftlichen Stellung.“
„Weder noch. Was Sie in Ihrer Position tun, ist Ihre Sache. Ich habe gelegentlich hitzige Auseinandersetzungen mit Herzögen, allerdings keine diesbezüglichen Erfahrungen mit Großherzoginnen. Im Übrigen habe ich die Feststellung gemacht, dass es unter Frauen wie unter Männern gleichermaßen törichte und kluge Exemplare gib.“
„Aha.“ Mit dieser eindeutigen Aussage hatte er einen wunden Punkt bei ihr berührt, und es dauerte eine Weile, bis sie sich fasste. Bislang hatten alle Männer in ihrem Leben ihr unverkennbar zu verstehen gegeben – selbstverständlich mit der gebührenden Höflichkeit –, dass man ihr die Achtung entgegenbrachte, die ihr hoher Rang erforderte, aber ihre Meinung mit nachsichtiger Milde anzuhören sei. Selbst der gutherzige Philippe neigte dazu, sie zu behandeln, als sei sie nicht wirklich fähig, Überlegungen zu Themen anzustellen, die über modische Belange, Wohltätigkeitsveranstaltungen und ihre mütterliche Fürsorge hinausgingen. Von einer Großherzogin wurde erwartet, sich zu verhalten wie eine pflichtbewusste Marionette.
Sie fing an, sich etwas zu wohl in der Nähe dieses Mannes zu fühlen. Sie begann sogar, ihn sympathisch zu finden. Es war gefährlich, so etwas zuzulassen, nur weil er ein Mann war, der sie nicht behandelte wie eine geistlose Puppe – und der sie geküsst hatte wie einen gefallenen Engel. „Begegnen Sie Herzögen mit ähnlicher Vertraulichkeit wie mir? Sie müssten mich eigentlich mit meinem Titel ansprechen.“
„Königliche Hoheit, wenn ich mir die Mühe mache, Sie mit Ihrem vollständigen Titel anzusprechen, zieht sich nicht nur jeder Satz unerträglich in die Länge, wir riskieren damit auch unnötiges Interesse von Fremden während unserer langen Reise auf uns zu lenken.“
„Ma’am könnte in diesem Fall genügen“, entgegnete sie spitz, und ihre Irritation stieg wieder in ihr auf.
„Wie lautet denn Ihr vollständiger Name, wenn ich fragen darf, Ma’am?“ Fast hätte er es vergessen, das letzte Wort hinzuzufügen.
„Evaline Claire Elizabetta Mélanie Nicole la Jabotte de Maubourg.“
Jack pfiff anerkennend durch die Zähne. „Sehr beeindruckend. Aha! Ich glaube, wir sind angekommen.“
Eva warf einen Blick aus dem Fenster der Kutsche. Sie erkannte die hohen Mauern mit den Torflügeln aus Gusseisen, in die eine schmale Tür eingelassen war. „Ja, das ist das Haupttor.“ Sie reichte ihm den Schlüssel. „Ich sage dem Pförtner, Sie sind ein französischer Gast aus Grasse, der sich für unsere Parfumherstellung interessiert.“ Und als Jack ihr aus dem Wagen half, fügte sie hinzu: „Und denken Sie bitte daran, mich in angemessener Form anzusprechen.“
„Sehr wohl, Königliche Hoheit.“ Das Klicken seiner Stiefelabsätze war eine Provokation, die sie wohlweislich ignorierte.
Der alte Georges kam eilig mit seiner Laterne angewackelt, als die beiden den Hof zur Hälfte überquert hatten. Sein wettergegerbtes Gesicht war in tiefe
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