HISTORICAL Band 0272
kleine Holztiere für sie zu schnitzen, ihre Nähschere, Nähnadeln und schwarzer Seidenfaden. Die kleine Zange aus der Küche war wohl noch das sinnvollste Utensil.
„Wasch ihm bitte das geronnene Blut ab. Ich kann die Wundränder kaum erkennen“, instruierte der Earl sie.
Susanna nahm eines der weichen Leinentücher, die das Mädchen gebracht hatte, tauchte es vorsichtig in das heiße Wasser, ließ es ein wenig auskühlen und wusch James das geronnene Blut vom Gesicht und von seinen Händen. Dann befeuchtete sie die Blutkruste vom … nein, sie wollte nicht daran denken, dass es das Bein des Schotten war. Für sie durfte es nur ein Körperteil sein, ein unbelebtes Etwas, kein Teil eines Menschen mit Gefühlen. Sie blickte nach oben. James lag bleich und mit geschlossenen Augen da. Ein Glück, dass er ohnmächtig ist, dachte sie. Er muss schreckliche Schmerzen haben. Aber würde er nicht aus seiner Ohnmacht erwachen, wenn ihr Vater mit seiner Operation begann?
„Meinst du nicht, er wird um sich schlagen, wenn du anfängst?“, fragte sie zweifelnd, während sie vorsichtig das Blut rings um die Wundränder abtupfte.
„Hmm. Wir sollten ein paar Diener bitten, ihn niederzuhalten. Aber je weniger Leute hier herumschwirren, desto besser. Außerdem zweifle ich daran, dass er sich bändigen lassen würde. Er scheint mir immens stark zu sein. Vielleicht können wir ihn festbinden …“
Plötzlich regte sich der Highlander. „Nicht nötig. Gebt mir einen Knebel und fangt endlich an“, sagte er mit erstickter Stimme.
„Garrow ist ja wach! Vater, er ist bei Bewusstsein!“, rief Susanna.
Der Schotte warf ihr einen schmerzerfüllten Blick zu. „Würde es dir etwas ausmachen, mir von dem Whisky zu geben?“
Fragend schaute Susanna zu ihrem Vater.
„Mach schon. Er wird es brauchen“, meinte der Earl knapp.
Susanna goss Whisky in ein Glas und eilte an das Bettende. Sie schob James den freien Arm unter den Kopf und hob ihn an, damit er trinken konnte. Er nahm drei große Schlucke, dann presste er die Lippen zusammen.
„Noch ein bisschen?“, flehte sie. „Trink lieber etwas mehr.“
„Nein“, erklärte er, während er seinen Kopf zur Seite drehte, als sie das Glas erneut ansetzte. „Glaub mir, es … es ist besser, wenn ich Herr meiner Sinne bin. Ich könnte euch sonst verletzen. Was ich intus habe, reicht aus, um den Schmerz etwas zu betäuben.“
„Nehmen Sie … nimm doch einfach meine Hand“, schlug sie vor.
Er verzog das Gesicht. „Ich würde dir die Finger brechen! Gib mir ein Stück Leder, auf das ich beißen kann, ja?“
„Leder. Leder?“, wiederholte sie, während sie suchend im Zimmer umherschaute, aber sie konnte kein Stück Leder entdecken.
Er streckte die Hand aus und nestelte an ihrem Gürtel, bis er ihn geöffnet hatte. Fassungslos sah sie zu, wie er den Gürtel neben sich legte, ihn mit einer Hand faltete und darauf biss. Dann streckte er beide Arme aus, klammerte sich an der Matratze fest und nickte.
„Ich bin so weit. Hierher, Susanna. Leg dich über seine Füße, damit er ruhig bleibt“, meinte ihr Vater.
James lächelte, so gut das mit dem Gürtel im Mund ging, und zwinkerte, so als wolle er sagen: „Ich werde dir nichts tun.“
Susanna sah auf den Schotten hinunter. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass er vollkommen nackt vor ihr auf dem Bett lag. Hitze stieg ihr in die Wange. „Alles wird gut“, versicherte sie ihm atemlos, weil sie ihn irgendwie trösten wollte. „Vater hat das sicher schon ganz oft gemacht. Ich bin mir sicher, es wird nicht lange dauern, bis …“
„Susanna! Jetzt mach schon! Hör auf, törichtes Zeug zu schwatzen. Er weiß, dass ich alles tue, was in meiner Macht steht, um ihm zu helfen.“
Susanna brach ab. Die Blicke schamhaft von seinem unbekleideten Körper abgewandt, hastete sie zum unteren Bettende. Sie setzte sich auf seine Beine und hielt die Knöchel des Schotten mit beiden Händen fest umschlossen.
Wie schrecklich die Schmerzen für James sein mussten, ahnte sie in den nächsten Minuten: Sie konnte spüren, wie sich sein Körper anspannte, während sie ihren Vater mit seinen provisorischen Instrumenten hantieren hörte. Immer wieder ließ er die Geräte zurück in die Metallschüssel mit kochendem Wasser fallen, was ein schepperndes Geräusch verursachte. Susanna hielt die Augen starr auf das Bettende geheftet, unfähig, der Operation zuzuschauen.
Einen Moment lang entfernte sich ihr Vater vom Bett. Sie hörte seine Schritte, dann
Weitere Kostenlose Bücher