HISTORICAL Band 0272
gab es ein seltsames Geräusch, und es roch nach verbranntem Fleisch. James stöhnte, dann entspannten sich die Muskeln in seinen Beinen.
„Er ist ohnmächtig. Du kannst aufstehen, Susanna“, sagte ihr Vater erschöpft.
Erst jetzt bemerkte sie, dass sie die meiste Zeit ebenso angespannt gewesen war wie James selbst.
„Du musst seine Kopfwunde nähen, bevor er wieder aufwacht, Kind.“
„Ich muss die Kopfwunde nähen“, wiederholte sie, während sie sich geistesabwesend erhob. Sie spürte, wie ihre Hände zitterten. Dann sah sie James an. Das bringe ich nicht fertig, dachte Susanna. Das kann ich einfach nicht tun. Diese Nacht war entsetzlich. Tief atmete sie durch. Wenn der Schotte diese grauenvolle Prozedur ohne einen einzigen Schrei über sich hatte ergehen lassen können, dann durfte sie ihm ihre Hilfe nicht verweigern.
Sie fischte sich eine Nadel aus der Metallschüssel mit dem kochenden Wasser und fädelte mit ungeschickten Händen ein Stück der nassen Seide ein. Zu ihrer eigenen Überraschung gelang es ihr, die Wunde an James’ Stirn mit nur drei Stichen sauber zu schließen. Sie fühlte sich richtiggehend euphorisch, als ihr Vater sie nach getaner Arbeit hinüber in den Aufenthaltsraum geleitete, um ihr ein Glas Brandy zur Stärkung zu reichen.
„Ich muss los, Susanna. Du musst dich von nun an gut um ihn kümmern.“
Susanna verschluckte sich und hustete. „Aber doch nicht jetzt!“, prustete sie ungläubig. „Mitten in der Nacht! Warum denn schon jetzt?“
Der Earl umfasste ihre Hände. „Jemand will mich umbringen, Susanna. Wenn ich bleibe, bringt das vielleicht dich und James in Lebensgefahr.“
„Nein! Was, wenn Sie dir gefolgt sind und …“
„Mach dir keine Sorgen. Zwei der drei Angreifer haben wir getötet. Ich habe beschlossen, dass ich doch mit dem Schiff fahren werde. Wer auch immer hinter mir her ist – er wird zwar feststellen, dass ich fort bin, aber nicht wissen, wohin und wie. Sobald ich London erreicht habe, werde ich mir eine Leibwache zulegen. Und einen Detektiv darauf ansetzen, der herausfinden soll, wer mir ans Leben will.“
„Ich mache mir solche Sorgen …“, entgegnete Susanna mit erstickter Stimme.
„Der Schuft, der uns entwischt ist, wird neue Leute engagieren müssen. Und dann muss er herausfinden, wohin ich abgereist bin. So haben wir etwas Zeit gewonnen.“
Er drückte ihre Hände, dann ließ er sie sinken. „Und du, mein Mädchen, wirst ohne mich sicherer sein. Ich möchte trotzdem, dass du mir versprichst, sobald wie möglich mit James in die Highlands aufzubrechen – wenn er in der Lage ist, in der Kutsche zu sitzen. Hier im Royal Arms seid ihr bis zu eurer Abreise sicher. Bleib im Hotel, bis ihr abfahrt. Und wenn ihr abreist, macht keinen Wirbel darum. James wird schon wissen, wie das zu bewerkstelligen ist. Ich habe ihm eine Waffe dagelassen. Glaub mir, niemand wird dich besser beschützen können als er.“
Susanna schnaubte. „Ja, er ist eine hervorragende Zielscheibe. Das hat er ja heute bewiesen!“ Tränen schossen ihr in die Augen.
Tadelnd schüttelte der Earl den Kopf. „Vergiss nicht, dass er auch exzellent schießen kann. Ich lasse dich in den besten Händen zurück.“
„Dann kannst du ja jetzt gehen“, meinte Susanna, als sie bemerkte, dass sie ihren Vater nicht zum Bleiben würde bewegen können. Sie senkte die Lider. „Ich wünsche dir alles Gute für die Heimreise.“
Ihr Vater nickte. „Ich werde euch telegrafieren, sobald ich in London angekommen bin.“
„Vorausgesetzt, dass es dort, wo es mich hin verschlägt, eine Telegrafenstation gibt“, gab sie zurück.
„Wenn nicht, werde ich euch auf anderem Weg eine Botschaft zukommen lassen. Bitte hab ein Auge auf deinen Mann. Er wird sicher leichtes Fieber bekommen. Aber es wird schon alles gut gehen.“
„Du hast das schon öfter gemacht, oder?“, fragte Susanna.
„Ein oder zwei Mal“, meinte er ausweichend, „aber das ist so lange her …“
Aus einem Impuls heraus umarmte Susanna ihren Vater kurz. „Bitte, bitte, pass gut auf dich auf!“
Sanft küsste der Earl sie auf den Scheitel. „Lebe wohl, Tochter. Ich verspreche dir, irgendwann wirst du mir für deinen Mann noch dankbar sein.“
Insgeheim bezweifelte Susanna dies, aber das war im Moment ihre geringste Sorge. Garrow lag im Zimmer gegenüber und würde sterben, wenn sie ihn nicht gut versorgte.
Und Vater wird sterben, wenn er einen Fehler begeht und der falschen Person vertraut.
Plötzlich wachte
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