HISTORICAL Band 0272
unvermutete Wende in ihrem Leben empfindlich reagierte. Keineswegs durfte mehr daraus werden.
„Geschafft!“ Das Schloss klickte, die Tür sprang auf. Sie betraten einen Raum, ausgestattet mit zwei Schreibpulten, zwei schrägen Zeichenbrettern und einem langen Tisch in der Mitte. An der hinteren Stirnseite befanden sich fast wandhohe Schränke mit flachen Schubfächern.
„Kein einziges Zeichenblatt.“ Jack zog ein paar Schubladen an den Schreibpulten auf. „Nur Zeichenmaterial, Tintenfässer und Lineale.“
Gemeinsam begaben sie sich zu den hohen Schränken. Eva strich mit der Hand über das massive dunkle Holz. „Schauen Sie sich die Schlösser an. So etwas habe ich noch nie gesehen.“
„Ich auch nicht. Und ich muss gestehen, dass ich diese nicht aufbrechen kann.“ In gebückter Haltung prüfte Jack die Vorrichtungen, die mit doppelten Schlüssellöchern, Stahlbändern und Eisenstäben gesichert waren.
„Da bleibt uns wohl keine andere Wahl, als die Schränke zu zertrümmern“, bemerkte Eva seelenruhig. „Die Räume sind mit Feueräxten ausgestattet. Hier, schauen Sie.“ Sie umfasste eine schwere Axt, die in einer Ecke neben einem Wassereimer lehnte, und versuchte sie probeweise zu heben.
„Das bedeutet allerdings, dass man uns beschuldigen wird, hier unerlaubt eingedrungen zu sein.“ Jack verschränkte die Arme und betrachtete die hohen kistenartigen Holzbauten eindringlich.
„Na und?“ Ihr war völlig klar, dass der Verdacht auf sie fallen würde.
„Wenn Prinz Antoine Ihr Verschwinden bemerkt, lässt er es möglicherweise dabei bewenden, wenn sein Interesse an Ihrer Person nicht sonderlich groß ist. Wenn er Ihre Flucht allerdings mit einem Einbruch in seinem Geheimlabor in Verbindung bringt, wird er alle Hebel in Bewegung setzen, um Sie zurückzuholen.“
„Aber es ist doch wichtig, herauszufinden, was hier vorgeht.“ Eva fragte sich irritiert, ob er ihr tatsächlich unterstellte, ihre eigene Sicherheit sei ihr wichtiger als das Wohlergehen ihres Landes.
„Wir haben hinreichende Verdachtsmomente, dass Antoine mit Sprengstoffen experimentiert. Mein Befehl lautet, Sie wohlbehalten nach England zu bringen, nicht aber Sie in einen Spionagefall hineinzuziehen.“
„Wollen Sie etwa unverrichteter Dinge wieder abziehen?“, fragte Eva entrüstet.
„Das liegt mir fern. Aber es geht um Ihr Leben. Ihr Sohn wartet in England auf Sie.“
Eva lehnte die schwere Axt gegen einen Schrank und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Mr. Ryder stellte sie vor die Wahl, nicht ohne ihr die Gefahren zu verheimlichen. Er hatte sich, wenn auch widerstrebend, damit abgefunden, dass sie ihn in die Manufaktur begleitete, und er war bereit gewesen, sich ihre Vorschläge anzuhören.
„Wenn sich der Verdacht bestätigt, dass Antoine beabsichtigt, Napoleon mit neuartigen Waffen zu beliefern, könnte ich mir das niemals verzeihen“, sagte sie und blickte unverwandt in Jacks graue kühle Augen. „Ich habe den Regenten eines Landes geheiratet, mag es auch noch so klein sein, und damit gewisse Pflichten übernommen.“ Falls sie in Gefahr war, so war es auch Jack. Sie war davon überzeugt, dass der Engländer sie mit seinem Leben verteidigen würde.
Seine Lippen umspielten ein dünnes Lächeln, und in seinem Blick lag Bewunderung, wenn auch nur widerstrebend. Mit dieser Aussage hatte sie sich zu seiner Verbündeten gemacht, ihrer beider Leben stand nun auf dem Spiel. Er streckte die Hand nach der Axt aus. „Gut. Dann fangen wir an.“
Eva war schneller und packte den Holzgriff des Werkzeugs mit beiden Händen. „Nein, ich führe den ersten Schlag aus!“ Mit aufeinandergebissenen Zähnen hob sie das Gerät über den Kopf und ließ es auf die erste Stahlverriegelung niedersausen. Das umgebende Holz splitterte krachend, und ein scharfer Schmerz fuhr ihr in den Arm. „Der ist für Frédéric. Wie kann Antoine es wagen, sich an dem Erbe meines Sohnes zu vergreifen? Ich wünschte, der infame Verräter würde vor mir stehen!“
4. KAPITEL
Jack löste Evas Finger von dem Axtgriff. „Wenn Sie gestatten. Ich habe zwar Verständnis für Ihren Wunsch, Ihren Schwager zu enthaupten, bin allerdings der Meinung, ich eigne mich besser, aus diesem Möbelstück Brennholz zu machen.“
Sie nickte knapp, überließ ihm das Werkzeug und trat mit wütend funkelndem Blick einen Schritt zurück. Respekt, dachte er, diese Frau hat Mumm in den Knochen! Und dann machte er sich daran, mit gezielten Hieben die Sicherheitsschlösser
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