HISTORICAL Band 0272
entfesselter animalischer Leidenschaft auf dem Orientteppich geliebt.
Sie entwand sich ihm, ihre Hände flogen an ihr Haar, ihren Ausschnitt, ihre Röcke. „Geh!“, zischte sie. „Geh endlich!“ Ohne Jack weiter zu beachten, eilte sie zu dem Globus neben dem Schreibtisch, wandte den Rücken zur Tür und rief: „Herein!“
„Ma’am, Mr. Catterick lässt fragen, ob Sie den Tee mit ihm nehmen.“ Es war der Butler. Eva drehte sich über die Schulter zur Tür. Jack stand, scheinbar vertieft in ein Buch, das auf einem Stehpult lag. Auch er hatte sich von der Tür abgewandt, um seinen verräterischen Zustand zu verbergen.
„Sagen Sie Mr. Catterick bitte, dass ich in wenigen Minuten bei ihm bin.“
„Gewiss, Ma’am. Und Mr. Ryder?“
„Ich gehe aus, um einige Geschäfte zu erledigen“, entgegnete Jack knapp. „Ich werde erst zum Dinner wieder zurück sein.“ Dabei sah er Eva direkt in die Augen. „Henry wird im Haus bleiben.“ Dies war eine Warnung an sie, nicht den Versuch zu wagen, das Haus zu verlassen.
„Sicher, Sir.“ Der Butler zog sich mit einer Verneigung zurück. Eva trat an den Spiegel über dem Kamin und prüfte ihr Aussehen. Ihre geweiteten Pupillen, ihr erhitztes Gesicht sprachen Bände. Immerhin konnte sie ihre Gesichtsröte mit dem ungewöhnlich heißen Sommertag erklären.
Gütiger Himmel, eine Großherzogin lässt sich nicht im Liebesrausch auf den Teppich einer Bibliothek werfen, schalt sie sich verzweifelt. Sie bricht auch nicht in Tränen der Wut aus, sondern bewahrt Fassung und plaudert angeregt bei einem Tässchen Tee mit ihrem Gastgeber. Mit gerafften Röcken rauschte sie aus der Bibliothek, ohne Jack auch nur einen flüchtigen Blick zurückzuwerfen. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass diese Affäre mit einem gebrochenen Herzen ihrerseits enden würde, nicht aber geahnt, dass sie in einem tiefen Zerwürfnis im Haus eines reichen Bankiers in Brüssel zu Ende gehen würde.
18. KAPITEL
Eva entsann sich nicht, nach jenem schwarzen Tag, an dem Louis ihren kleinen Sohn ins Internat nach England gebracht hatte, jemals wieder geweint zu haben. Damals hatte sie sich ins Kinderzimmer zurückgezogen und stundenlang Tränen vergossen, während sie Freddies Schiefertafel an ihre Brust gedrückt hatte. Tränen galten als undiszipliniert, eine unzulässige Schwäche, die sie sich seither nie wieder gestattet hatte.
Nachdem die Zofen endlich gegangen waren, begab sie sich zu Bett, ohne die Kerze auf dem Nachttisch zu löschen. Sie legte sich in die seidenen Kissen zurück und ließ ihren Tränen freien Lauf. Von der Straße herauf drangen Jubel und Gelächter. Seit dem frühen Abend waren immer häufiger Meldungen eingetroffen, dass die Franzosen geschlagen worden waren. Anfängliche Gerüchte hatten sich schließlich bestätigt, je mehr Boten vom Kriegsschauplatz in der Stadt eintrafen. Die preußischen Verbündeten waren rechtzeitig aus dem Osten anmarschiert, die englischen Infanterieregimenter rückten nach, es kam zu einer blutigen Schlacht, und bald darauf traten die Franzosen den Rückzug an. Nur die Alte Garde hielt dem feindlichen Ansturm stand und verhalf Napoleon zur Flucht.
Das Dinner wurde unter unzähligen Trinksprüchen auf den Sieg der Alliierten eingenommen. Eva versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, dass ihrem Herzogtum nun keine Gefahr mehr drohte, welches Schicksal Philippe und Antoine auch ereilt haben mochte. Irgendwer würde dem französischen König, Louis XVIII., eine plausible Erklärung liefern, aus welchem Grund das neutrale Maubourg sich mit einem Trupp Soldaten Bonaparte angeschlossen hatte, aber im Augenblick war der Monarch gewiss mit wichtigeren Staatsgeschäften beschäftigt.
Während des Festmahls hatte Jack sich ihr gegenüber distanziert und förmlich verhalten, was natürlich völlig korrekt war – aber Eva glaubte, ihr müsse das Herz zerspringen. Wäre er an diesem ersten Abend in Brüssel auch ohne ihren Ausbruch in der Bibliothek so kühl zu ihr gewesen, oder hatten ihre Gewissensqualen, ihre wütenden und maßlosen Forderungen ihn ihr entfremdet?
Sie wischte sich energisch die Tränen von den Wangen, verärgert darüber, sich diese Blößen gegeben zu haben. Es gab so vieles, worüber sie glücklich sein müsste. Immerhin hatte Jack ihr so manche Entscheidung leichter gemacht, hatte sie gelehrt, das zu tun, wonach sie sich sehnte. In wenigen Tagen würde sie Freddie wieder in ihre Arme schließen dürfen. Bald würde sie Neuigkeiten
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