HISTORICAL Band 0272
aus Maubourg erhalten, und sie hoffte inständig, dass Philippe wieder vollends genesen war. Europa war zudem von einem Diktator befreit, die langen Jahre des Kriegszustandes waren vorüber. Doch trotz all dieser freudigen Ereignisse konnte sie nur an Jack denken, an sein Gesicht, seinen Mund, der den ihren heiß und gewaltsam in Besitz genommen hatte. Das Wissen, dass die Magie der Liebe für sie endgültig verloren war, stimmte sie unsagbar traurig.
Die Kirchturmuhren schlugen. Ein Uhr nachts. Der Lärm der siegestrunkenen Menschen in den Straßen versiegte allmählich, vielleicht waren die Leute zum Grande Place gezogen, um dort weiterzufeiern. Erschöpft und traurig löschte sie die Kerze und schloss die Augen. Morgen würden sie die Reise fortsetzen – und sie brauchte dringend ein paar Stunden Schlaf.
Eva schlug die Augen auf. Tiefe Dunkelheit hüllte sie ein, die Luft war kühl, es roch modrig. Sie hatte das bedrückende Gefühl, die Wände würden beängstigend näher rücken. Und plötzlich wusste sie, wo sie sich befand: In einem Steinsarg in den Grabgewölben von Maubourg. Das Grauen ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Verzweifelt presste sie die Hände gegen die Steinplatte, die sich nicht bewegen ließ.
Vor Angst zitternd gab sie auf, fiel zurück und spürte, wie klamme Grabtücher sie umwehten, ihr offenes Haar fächelte kalt an ihren Schultern. In der Totenstille war nur ihr fliegender Atem zu hören, und dann drang ein knirschendes Geräusch an ihr Ohr. Stein, der gegen Stein kratzte. Louis. Louis war gekommen, um sie zu retten. Irgendwo hinter den schwarzen Nebeln ihrer Panik tauchte ein Gedanke auf wie ein schwacher Lichtstreif. Jack. Nicht Louis. Jack. Er hatte gesagt, dass er es wäre, der zu ihr käme. Er hatte versprochen, sie zu retten. Die Steinplatte öffnete sich einen Spalt, sie sah sehnige Finger, die sie hochhoben, Licht flutete in ihre Dunkelheit.
„Jack“, hauchte sie tonlos. Er lächelte sie an, gab ihr Zuversicht und Kraft. „Du bist gekommen.“
Ohne ein Wort zu sagen, hob er sie aus dem Steinsarg. Sie schmiegte sich an seine Brust und verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter, um nicht sehen zu müssen, wie er sie durch die düsteren Gewölbe trug, vorbei an all den Särgen. Weiter nahm er die schmalen Steinstufen, die nach oben und in die Freiheit führten. Seufzend schloss sie die Augen wieder, presste die Wange an ihn und genoss das Glück, seinen warmen männlichen Körper zu spüren.
Als sie die Augen wieder öffnete, brannte die Kerze auf dem Nachttisch, und sie selbst wurde von starken Armen gehalten. „Jack?“ Verwirrt hob Eva den Kopf, um ihn anzusehen. „Ich habe geträumt. Es war wieder dieser Albtraum. Aber dann bist du gekommen, wie du es versprochen hast. Aber auch das habe ichsicher nur geträumt.“Wieso war er hier? Er war wütend auf sie, und dennoch war er bei ihr und hielt sie in den Armen.
Jack blickte in ihre schlaftrunkenen Augen, und eine Welle der Zärtlichkeit verscheuchte alle anderen Gefühle, die ihn gezwungen hatten, sie in ihrem Schlafgemach aufzusuchen. Als er sich neben ihr auf dem Bett ausstreckte und ihre Wange zärtlich küsste, hatte er Salz geschmeckt. Er hatte sie zum Weinen gebracht.
Er liebte sie – nichts konnte das ändern. Auf ihrer glatten Stirn stand eine steile Falte, er beugte sich über sie und küsste sie fort. „Verzeih mir. Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen. Du hast geschlafen, also bin ich geblieben.“
„Aber …“
„Dein guter Ruf ist nicht in Gefahr. Das ganze Haus ist in Aufruhr wegen der gewonnenen Schlacht. Deshalb schläft Henry in einem Lehnstuhl im Korridor, und ich sitze in deinem Ankleidezimmer mit einem Gewehr auf den Knien.“
Seine Worte brachten Eva zum Lachen, genau wie er es sich erhofft hatte. „Darauf wollte ich nicht anspielen.“ Sie entwand sich seinen Armen, richtete sich zum Sitzen auf, um ihn anzusehen. „Ich muss mich entschuldigen, nicht du. Es war sehr töricht, plötzlich meine Meinung zu ändern, nachdem ich mich bereit erklärt hatte, dich nach England zu begleiten. Ich wollte dich auch nicht umstimmen, gegen deine Order zu handeln, oder dich herumkommandieren.“ Jack schnitt eine Grimasse. Hatte er in seinem Zorn so etwas zu ihr gesagt?
„Ich war nur wütend und habe hitzig reagiert.“ Wie sollte er ihr sein Verhalten erklären, da er die Heftigkeit seiner Reaktion doch selbst kaum begriff? Vermutlich war sein Ausbruch darauf zurückzuführen, dass er sich
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