HISTORICAL Band 0272
in sie verliebt hatte, gegen jede Vernunft. Kein Wunder, dass er sich selbst nicht mehr verstand. Eva wartete. Nun war diese Falte wieder auf ihrer Stirn, und er fühlte sich ein weiteres Mal schuldig, sie gekränkt zu haben. Verdammt, er hatte sich noch nie schuldig gefühlt!
„Der Gedanke, dass du dich in Gefahr begeben wolltest, machte mir Angst“, gestand er endlich. „Ich bin nicht daran gewöhnt, Angst zu haben, das verwirrt mich zutiefst.“
Sie zog die Nase kraus, das tat sie stets, wenn sie sich bemühte, nicht zu lachen. „Du warst verwirrt? So nennst du das?“ Der Blick ihrer braunen Augen drang so tief in sein Inneres, dass er fürchtete, sie könne seine Liebe erkennen. „Hast du wirklich niemals Angst? Ist das nicht ziemlich tollkühn?“
„Nun ja, natürlich habe ich Angst, sogar häufig. Ich meine, Angst um andere Menschen, Angst davor, etwas falsch zu machen.“
„Aha, ich verstehe.“ Ihre Miene hellte sich auf. „Meinst du, so wie ich Angst um Freddie habe? Ich versuche, für mich selbst tapfer zu sein, aber ich mache mir Sorgen um ihn, auch wenn es unnötig ist. Doch er ist mein Sohn, den ich über alles liebe.“ Schon wieder war die steile Falte da, und Eva sah ihn mit zur Seite geneigtem Kopf an.
Die Geste war beinahe wie eine Frage. Beinahe die Frage. Er könnte ihr ehrlich antworten, und sie würde sich abwenden, peinlich berührt von seinem unangebrachten Geständnis. Oder er fand schnell eine plausible Erklärung, verdammt schnell, und lernte in Zukunft, sich nicht mitten in der Nacht auf Gespräche über Gefühle einzulassen.
„Das passiert mir gelegentlich mit meinen Schutzbefohlenen“, sagte er schließlich leichthin. „Sie wecken meinen Beschützerinstinkt.“
„Aha.“ Die Irritation in ihren Augen wich einem Anflug von Hochmut. „Und schläfst du mit vielen deiner Schutzbefohlenen?“
„Nur mit den Frauen“, versuchte er zu scherzen.
„Wie bitte?“, fragte sie entrüstet.
„Nun ja, mit der einen oder anderen“, gestand Jack und wusste sehr genau, dass er damit Brücken hinter sich abbrach. Aber diese Affäre mit Eva – mehr durfte sie für ihn nicht sein – musste ohnehin enden, und es war angebracht, jetzt einen Schlussstrich zu ziehen.
„Ich verstehe. Ich war also die letzte in einer langen Reihe von Eroberungen?“
„Eva, ich habe nie behauptet, ein Heiliger zu sein“, begann Jack und spürte, dass dieses Gespräch völlig aus dem Ruder lief. Unvermutet barg sie ihr Gesicht in den Händen, ihre Schultern begannen zu zucken, und ihm war, als könne er das Salz ihrer Tränen erneut in seinem Mund schmecken. „Eva, weine nicht. So habe ich es nicht gemeint. Ich habe wirklich nicht mit allen Frauen geschlafen, aber ich bin nun mal kein Mönch.“
Das Zucken ihrer Schultern verstärkte sich. Dann sah sie auf, und in ihren Augen standen Tränen. Lachtränen. „Du und ein Heiliger!“ Sie gluckste vor Lachen. „Wenn du versucht hättest, mir das weiszumachen, ich hätte dir keinen Augenblick lang geglaubt.“ Sie wischte sich mit dem Ärmel ihres Nachthemds über die Augen. „Sei unbesorgt. Ich bin nicht so weltfremd, um anzunehmen, du hättest deine Unschuld für mich aufbewahrt. Ehrlich gestanden“, fügte sie mit einem sündigen Augenzwinkern hinzu, „bin ich froh, dass du es nicht getan hast.“
Jack machte Anstalten aufzustehen. „Du schlüpfst jetzt unter die Decke und schläfst endlich. Es ist sehr spät, und morgen reisen wir nach Ostende. Ich will dich an Bord eines Schiffes wissen, bevor die halbe englische Armee in die Heimat entlassen wird.“
„Bleibst du nicht?“ Hastig fügte sie hinzu: „Nur um neben mir zu liegen, ganz unschuldig.“
„Einverstanden. Ich werde bei dir sein, aber nur, bis du schläfst“, sagte er und lieferte sich der bittersüßen Qual aus, sie so nahe bei sich zu haben, vielleicht ein letztes Mal, ohne sie berühren zu dürfen.
„Damit habe ich Freddie immer getröstet“, murmelte sie, während sie einen Arm um seine Brust legte.
„Ich singe dir allerdings kein Schlaflied.“
„Nein?“, murmelte sie müde.
„Nein.“ Jack zog sie bequemer an seine Brust und lehnte sich zurück. Er hatte nie begriffen, warum Frauen so anlehnungsbedürftig sind. Bis zu diesem Moment. Er war daran gewöhnt, sich mit einer Frau zu vergnügen – und hinterher einzuschlafen. Aber mittlerweile, nein, jedes Mal, wenn Eva sich in seinen Armen entspannte, breitete sich eine friedvolle Ruhe in ihm aus. Das war Liebe,
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