Historical Collection Band 03
Unsicherheit im Umgang mit seiner jungen Countess wuchs von Tag zu Tag. Er erkannte sich kaum wieder. Insgeheim bewunderte er, wenn auch gegen seinen Willen, wie Alice mit ihrem Einspänner durch die Gegend fuhr und seinen Pächtern Hilfe und Rat anbot – genau, wie es früher seine Mutter getan hatte. Aber andererseits störte es ihn, dass ihre Zeit davon so sehr mit Beschlag belegt wurde. Denn diese Zeit hätte Alice mit ihm verbringen, ihn besser kennenlernen und mit ihrer Warmherzigkeit überschütten können.
Lächerlich, rief er sich sofort zur Ordnung. Er hatte noch nie jemanden gebraucht. Schon vor sehr langer Zeit hatte er beschlossen, vom Wohlwollen keines Menschen abhängig zu sein.
Andererseits …
Unter Alices sanftem Einfluss in der vergangenen Woche war Wycliffe Hall wieder ein Zuhause geworden und nicht mehr das Mausoleum, vor dem er davonlief. Die Dienerschaft schien auch williger und zufriedener bei der Arbeit zu sein. Die Köchin übertraf sich mit jedem neuen Mahl selbst. Und wann immer er über seine Ländereien ritt, begrüßten die Pächter, denen er begegnete, ihn respektvoll, aber auch fröhlich.
Das alles nur, davon war Daniel überzeugt, wegen der Aufmerksamkeit, die seine junge Frau ihnen allen und ihrem Wohlergehen schenkte.
Sein ausschweifendes, träges Leben in London schien ihm jetzt fremd. Und auf keinen Fall übte es die gleiche Anziehungskraft auf ihn aus wie früher. Stattdessen ertappte er sich dabei, wie er ein Interesse für die Geschäfte des Gutes entwickelte. Er spielte sogar mit dem Gedanken, seinen Sitz im Oberhaus einzunehmen, sobald das Parlament sich im Herbst wieder zusammenfand. Sein Freund Hawk St. Claire, der Duke of Stourbridge, drängte ihn schon seit Monaten, genau das zu tun.
„Alice, ich weiß die Veränderungen zu schätzen, die du in diesem Haushalt bewirkt hast …“
„Mir war nicht bewusst, dass Sie es bemerkt haben, Mylord.“ Sie lächelte erfreut.
„Doch, das habe ich“, meinte er streng. „Und ich billige sie“, gab er zu. „Aber deine ständige Einmischung in die Geschäfte des Gutes ist etwas völlig anderes“, fügte er hinzu.
Alice senkte den Blick. „Einmischung, Mylord? Sie nennen es Einmischung, wenn ich Sie darauf aufmerksam mache, dass das Kind eines Ihrer Pächter einen Arzt braucht? Oder …“
„Du weißt genau, was ich meine, Alice“, tadelte er sie. „Jetzt ist mir zum Beispiel zu Ohren gekommen, dass du den Arbeitern versichert hättest, ihre Häuser würden nächste Woche gründlich begutachtet werden, damit Reparaturen ausgeführt werden können, falls nötig.“
Alice schien völlig unbeeindruckt zu sein. „Und durch wen ist es Ihnen zu Ohren gekommen, Mylord?“
„Das tut nichts zur Sache, Alice.“
Sie sah ihn eindringlich an. „Sie billigen es nicht, dass die Arbeiter unter bequemeren Bedingungen leben, Mylord?“
Ihr versteckter Vorwurf ärgerte ihn. „Das habe ich nicht gesagt.“
„Dann ist es also jemand anders, der es nicht billigt“, meinte sie mit einem Nicken. „Vielleicht Mr Carter, Ihr Verwalter? Dessen Aufgabe es ist, sich um diese Dinge zu …“
„Du musst diese Dinge wirklich mir überlassen, Alice“, fuhr Daniel sie ungeduldig an. Er konnte nicht zulassen, dass seine eigene Frau ihn tadelte, als wäre er ein kleiner Junge.
„Gewiss, Mylord. Es ist nur, ich hielt Sie für einen gerechten Mann und …“
„Ich bin gerecht, Alice!“
„Ja, Mylord“, stimmte sie zu. „Aber dann könnten Sie vielleicht dafür sorgen, dass auch James Carter diese vorzügliche Tugend an den Tag legt?“
Sie ließ wirklich nicht locker. Daniel ärgerte sich zwar über ihre Hartnäckigkeit, aber er sah ein, dass sie in diesem Punkt vielleicht gar nicht so unrecht hatte.
„Carter wird gehen, wenn du nicht aufhörst, Alice.“
„Ich bin davon überzeugt, dass Sie Ihr Gut sehr viel besser verwalten würden als er.“
„Ein Earl kümmert sich doch nicht selbst um die Wünsche seiner Pächter.“
Alice lächelte ermutigend. „Sie könnten ja eine neue Mode ins Leben rufen, nicht wahr, Mylord?“
Fast gegen seinen Willen erwiderte er ihr Lächeln. „Du machst dich über mich lustig, Alice.“
„Ich necke dich, Daniel“, korrigierte sie ihn leise.
Er drehte sich um und sah aus dem Fenster über den sorgfältig gepflegten Rasen im Park von Wycliffe Hall. Solange er sich erinnern konnte, hatte ihn noch nie jemand geneckt, aber er konnte sich auch nicht erklären, warum es ihm so gefiel,
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