Historical Exclusiv 45
steckte bis zum Hals in Verhandlungen und Ratssitzungen und …“ Er führte den Satz nicht zu Ende, als er das eisige Glitzern in Roriks Augen bemerkte. „Im Übrigen kannte ich den Mann nicht“, schloss er mit einer unwirschen Geste.
Roriks Stimme wurde noch weicher, noch gefährlicher. „Dann will ich dich aufklären.“
Edwards Gesicht verfinsterte sich, als ihm die Wahrheit dämmerte. „Was soll das?“, fragte er schroff. „Es blieb dir wohl kaum Zeit, dir Yvaines Lebensgeschichte anzuhören, als du sie aus dem Meer gefischt hast, wie? Vielleicht war ich voreilig, den Abschaum, der sie töten wollte, zu beseitigen.“
Gleichmütig zuckte Rorik die Achseln. „Hättest du es nicht getan, hätte ich es getan.“
„Aber nein, Rorik …“
Er blickte stumm auf Yvaine herab, bevor er sie sanft in Edwards Richtung schob. Eine Geste, die ihr das Herz zu zerreißen drohte.
„Yvaine sollte nicht hier sein“, sagte er. „Gibt es Frauen in deinem Lager, die sich um sie kümmern, während wir unter vier Augen reden?“
„Selbstverständlich. Wulf!“ Der König schnipste mit den Fingern, worauf ein Soldat vortrat. „Bring Lady Yvaine ins Lager. Das Mädchen, das dir das Bett wärmt, soll ihr anständige Kleider geben und sich um meine Cousine kümmern.“
„Aber …“
„Geh ins Lager, Yvaine.“ Roriks leise Stimme duldete keinen Widerspruch. „Es wird nichts geschehen, das deine Anwesenheit erforderlich macht.“
„Ja“, pflichtete Edward ihm bei. „Das ist kein Ort für dich. Wir kommen nach, wenn ich mit diesen Seeräubern fertig bin.“
Ihr Blick flog unstet umher, sie hatte Othars Männer völlig vergessen, die in einiger Entfernung aufgereiht im Kies knieten, die Hände auf den Rücken gebunden, und dumpf vor sich hin starrten.
Rorik nahm Yvaine beim Arm und drehte sie brüsk zu sich um, bevor sie begriff, dass der leblose Körper, der mit abgewandtem Gesicht am Ende der Reihe lag, Othars Leiche war.
„Wie ich sehe, hörst du auf deinen Cousin ebenso wenig wie auf mich“, presste er leise zwischen den Zähnen hervor. „Ich habe dich nicht vor dem Ertrinken gerettet, damit du jetzt Fieber bekommst. Geh! Oder soll ich dich selbst ins Lager tragen?“
Damit würde er sich zumindest vorübergehend Edwards Vergeltung entziehen, ein allzu kurzer Aufschub, das sah Yvaine ein. „Einverstanden, ich gehe, aber nur wenn ihr schwört, niemanden zu töten.“
„Ich habe nicht die Absicht, jemanden zu töten.“
Eine unheimliche Ahnung kroch ihr über den Rücken, sie drehte den Kopf. „Edward?“
Der Blick des Königs wanderte zwischen ihr und Rorik hin und her. „Worauf wolltest du mit deiner Forderung hinaus, ich schulde dir einen Gefallen, Yvaine? Dass ich niemanden töte, der etwas mit deinem Verschwinden zu tun hat?“ Sein Blick heftete sich auf Rorik. „Einverstanden. Ich respektiere deinen Wunsch.“
„Es war Othar, der mir etwas antun wollte“, erklärte sie ungebeten. „Die anderen wussten nicht … wer ich bin …“
Sie geriet ins Stottern bei dieser Notlüge. Sollte Edward denken, was er wollte. Er war kein Narr. Gewiss ahnte er, dass an der Geschichte mehr war, als sie bereit war, einzugestehen. Aber wenigstens würden ihr Ehemann und ihr Vetter einander nicht umbringen. Zumindest hoffte sie, diese Sorge los zu sein.
Es blieb allerdings eine andere große Sorge. Die schleichende Angst, dass Rorik jetzt, nachdem er sie wohlbehalten bei ihrem Vetter abgeliefert hatte, mit seinem Schiff abfahren würde, ohne noch einmal mit ihr zu sprechen.
Sie straffte die Schultern und wandte sich an Rorik in einem höflich verbindlichen Tonfall, doch ihre Augen sprachen eine andere Sprache. „Ich möchte dir in aller Form danken, Rorik. Du hast vorbildlich für mich gesorgt und mir das Leben gerettet.“ Das konnte sie Edward gar nicht oft genug vor Augen führen. „Später vielleicht …“
Als Rorik die Angst in ihren Augen sah, schwand die Härte aus seinen Gesichtszügen. Er nahm ihre freie Hand, hob sie an die Lippen und drückte einen Kuss auf die Innenseite.
„Sei unbesorgt“, raunte er so leise, dass kein anderer es hören konnte. „Ich finde dich, wo immer du sein magst.“
Stunden später begann sie an seinen Worten zu zweifeln. Rorik war nicht zu ihr gekommen, und sie war zum König gerufen worden.
Nun blickte sie dem bevorstehenden Treffen in einer Mischung aus Hoffnung und Beklommenheit entgegen. Ihre Hoffnung klammerte sich an die Erinnerung, wie Rorik sie
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