Historical Exclusiv 45
lernen, Gaston. Krieger setzen ihr Leben nicht leichtfertig aufs Spiel. Sie suchen nur ihren eigenen Gewinn.“
Dass sie solch einen Gedanken fassen konnte, erschreckte den Knappen. „Nein, bei Rittern ist das anders! Männer, die geloben, Schwächere zu schützen und für Gerechtigkeit zu kämpfen, handeln nicht so!“
„Ja, Ritter “, beharrte Gabrielle grimmig. „Sie sind schlimmer als andere. Ritter haben mehr zu verlieren und zu gewinnen als die meisten auf der Welt.“
„Mein Herr ist nicht so. Er wird zurückkehren und seine Mission vollenden. Yves de Saint-Roux wird nicht ruhen, bis Ihr und Euer Sohn in Sicherheit seid.“ Man konnte sehen, dass sie unentschlossen war, und Gaston fühlte, dass sie ihm glauben wollte.
Doch sie schüttelte jäh ihr Haupt. „Nein. Er wird nicht kommen.“
Ehe er weitersprechen konnte, wandte sie sich ab und blickte zum Fenster hinaus. „Vielleicht irre ich mich auch“, murmelte sie, beinahe so, als ob sie mit sich selbst sprach. Ihre Finger trommelten auf das Fenstersims. „Vermutlich hätte ich mich zuvor mit ihm vermählen sollen.“
Gaston konnte seine Ungeduld nicht zügeln. „Was meint Ihr damit?“
Gabrielle de Perricaults Blick traf ihn erneut. „Hätte ich deinen Herrn zuvor geehelicht, dann stünde mehr für ihn auf dem Spiel als sein Schwur, mir zu helfen. Der Besitz von Perricault läge in der Waagschale, ebenso wie die Möglichkeit, dass ich ihm einen Erben gebären könnte.“
Sie verzog das Gesicht und wandte sich wieder dem Ausblick zu. „Indes ich tat es nicht“, sagte sie ruhig. „Nun ist es zu spät.“
„Es ist nicht zu spät! Gebt die Hoffnung nicht auf!“, warf Gaston ein, aber Gabrielle stimmte seinen Worten nicht zu.
Es war offensichtlich, dass sie nicht von ihrer Meinung abzubringen war, auch wenn der Knappe wusste, dass sie seinen Herrn falsch einschätzte.
„Ihr werdet sehen“, sagte er letztendlich. „Ihr werdet sehen, er wird kommen.“
Gaston zog sich in einen entfernten Winkel des Raumes zurück und hockte sich nieder. Er stützte seinen schmerzenden Kopf auf seine Hand und betrachtete die Dame, wobei er wünschte, es gäbe einen Weg, ihr neue Hoffnung zu geben.
Doch tief in seinem Herzen wusste er, dass nur sein Herr diese Tat vollbringen konnte.
Yves’ Aufgabe schien noch unangenehmer zu werden, als er erwartet hatte.
Nachdem er und seine Gefährten am anderen Morgen in Château Annossy angekommen waren, erfuhr Saint-Roux, dass Quinn und seine Gemahlin nicht anwesend waren, sondern sich in Château Sayerne befanden.
Sayerne, wo Yves’ Vater seine Anwesenheit kaum geduldet hatte; Sayerne, wo seine Mutter starb, von dem Manne nicht anerkannt, dessen Kind sie gebar; Sayerne, der unglückselige Besitz, den Yves und Annelise verlassen hatten, um in den Wald mit den Wölfen zu flüchten.
Er musste zu dem Ort zurückkehren, den er unter allen Umständen hatte meiden wollen.
Die Gefährten blickten ihn erwartungsvoll an, und Saint-Roux dachte an Gabrielle, die in Philippes Netz gefangen war. Wer wusste, was hinter den gewaltigen Mauern Perricaults bereits geschehen war?
Nein, diese Aufgabe konnte er nicht einfach beiseitelegen.
„Nach Sayerne“, befahl er. Seine eigenen Ängste waren ohne Bedeutung. Er würde den Geistern, die ihn quälten, gegenübertreten. Irgendwie würde er seinen arglistigen Bruder für seine Sache gewinnen. Irgendwo würde er für Gabrielle und ihren Sohn Hilfe finden.
Dennoch sah Yves einen Tag später mit gewisser Angst jene Hügelkette, die die Grenze zwischen Annossy und Sayerne bildete. Er bereitete sich auf den Anblick von verwüsteten Feldern und verarmten Leibeigenen vor, die der sichtbare Beweis für die grausame Herrschaft seines Vaters gewesen waren.
Doch die Felder von Sayerne, die sich vor seinen Augen ausbreiteten, waren so anders als in seiner Erinnerung, dass er sich fragte, ob er sich auf dem richtigen Besitz befand.
Das Dorf, das außerhalb der Mauern Sayernes lag, war neu erbaut, ein weiterer Umstand, der ihn sehr überraschte. Auch die Mühle war neu. Leibeigene hantierten geschäftig herum. In den Küchengärten, die an jedem Haus angelegt waren, sah man das erste Grün. Kinder liefen lärmend herum, und eine grobe Frau scherzte lautstark und lebhaft mit ihrem Gatten, der in der Türöffnung stand.
Dieses blühende und glückliche Dorf war weit von den schattenhaften Ruinen entfernt, an die Yves sich erinnerte. Es passte nicht zu den Gerüchten, die er über den
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