Historical Exclusiv 45
„Ich habe ihn nicht nach seinem Namen gefragt, dummes Weib.“
„Er war mein Freund“, sagte Yvaine leise. „Mein einziger Freund.“ Und plötzlich holte sie aus und schlug ihm ins Gesicht, dass Othars Kopf nach hinten schnellte.
Ein Aufschrei des Entsetzens ging durch die Halle. Die Mägde in Othars Nähe ergriffen hastig die Flucht. Gunhild stürzte sich mit einem gellenden Wutschrei und gekrümmten Fingern auf Yvaine, als wolle sie ihr das Gesicht zerkratzen.
Anna, die Yvaine in der Menge verloren zu haben glaubte, war plötzlich bei ihr, wollte sich schützend vor ihre Herrin werfen, wurde aber von Othar, der sich von seinem Schreck erholt hatte, grob beiseite gestoßen.
Er prallte gegen Roriks Schulter und landete der Länge nach auf dem Lehmboden.
Rorik stand vor Yvaine, als Gunhild losschlug. Er packte seine Stiefmutter an den Handgelenken. „Hast du nicht soeben den Gedanken der Vergeltung gerühmt, Gunhild?“, fragte er leise drohend. „Verweigerst du meiner Verlobten das gleiche Recht?“
In Gunhilds Augen funkelte wilder Hass, doch als sie den Blick ihres Ehemanns auffing, dämpfte sich ihr Zorn. Mit sichtlicher Mühe verbarg sie ihren Hass hinter einer starren Maske.
„Du hast Recht, Rorik.“ Sie befreite sich aus seinem Griff, machte auf dem Absatz kehrt und zog sich zur Bank an der Wand zurück.
„Du hast Recht“, äffte Egil sie mit einem höhnischen Lachen nach. „Welch seltener Anflug von Demut, Weib. Setz dich nur auf die Frauenbank und denke darüber nach, was dir blüht, wenn du Roriks Frau beleidigst.“
Er stützte sich schwer auf die Armlehnen seines Stuhles und wandte sich mit funkelnden Augen an Othar. „Und nun zu dir, Knabe! Hast du immer noch nichts begriffen? Stehe auf, wenn ein Mann dich zu Boden schlägt. Bei den Göttern, wenn du dich nicht benehmen kannst wie der Sohn eines Jarls …“
Er hielt inne, sein Gesicht wurde totenbleich, Schweißperlen traten auf seine Stirn. Keuchend beugte er sich vor und presste die Faust an seinen Brustkorb.
Zu Yvaines Entsetzen eilte niemand Egil zu Hilfe. Gunhild war zu sehr damit beschäftigt, Othar gestenreich aus der Halle zu schicken, und schien sich keinerlei Sorgen um den Zustand ihres Gemahls zu machen. Sie wirkte nervös, blieb aber auf der Frauenbank sitzen, die Hände im Schoß gefaltet, in einer Pose unterwürfigen Gehorsams. Doch ehe sie die Augen niederschlug, warf sie Yvaine einen hasserfüllten Blick zu, mit dem sie ihr zu verstehen gab, dass sie ihr niemals verzeihen würde, ihren Sohn geschlagen zu haben, den sie offensichtlich vergötterte.
Alle Anwesenden in der Halle beobachteten Egil aufmerksam, stießen sich mit den Ellbogen an und tuschelten miteinander. Thorolf stand neben Anna, hielt beschützend einen Arm um sie. Offenbar war er ihr zu Hilfe geeilt, als Othar sie zur Seite gestoßen hatte.
Erst jetzt bemerkte Yvaine, dass ihre Handfläche brannte. Sie warf Rorik einen hastigen Blick zu, der seinen Vater mit unbeweglicher Miene beobachtete. Er spürte ihren Blick, wandte sich ihr zu, und dann erst sah sie den Kummer in seinen Augen. In einer impulsiven Geste schob sie ihre Hand in die seine.
Ein Lächeln huschte über seine Lippen, er hob ihre Hand und drückte einen Kuss auf die Innenseite, mit der sie Othar geschlagen hatte.
„Nun, Rorik.“ Mühsam richtete sich Egil auf und lehnte sich zurück. Seine Stimme klang heiser, seine Augen waren tief in die Höhlen gesunken, aber der Schmerz, der ihn gepeinigt hatte, schien vergangen. „War das ein Vorgeschmack auf das, was uns erwartet, wenn du diese Frau heiratest?“
Rorik rang sich ein Lächeln ab. Ohne Yvaines Hand loszulassen, zog er mit der Stiefelspitze eine Bank schräg vor den Stuhl seines Vaters, nahm Platz und zog seine Braut neben sich. „Ja, vermutlich“, antwortete er seelenruhig.
Egil schnaubte. Und dann beäugte er Yvaine eingehend aus wässrigen Augen, und ein beinahe respektvolles Lächeln flog über seine Züge. „Du hast viel zu tun, sie zu zähmen“, murmelte er. „Ich kann es dir nicht verdenken, dass du dir die Aufgabe vorgenommen hast. Aber du musst das Mädchen nicht heiraten.“ Ein drängender Blick trat in seine Augen. „Wenn du eine Frau willst, nimm Harald Snorrissons älteste Tochter. Sie ist zu einer strammen Frau herangewachsen und wird dir kräftige Söhne schenken. Und er wird ihr wahrscheinlich das Stück Land als Mitgift geben, das an unseren Besitz grenzt.“
Gleichmütig zuckte Rorik mit den
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