Historical Exclusiv 45
halten, aber mein Sohn berichtet mir etwas anderes.“
„Diesmal hat dein Sohn Recht.“ Ihr ohnehin langes Gesicht wurde noch länger. Rorik wandte sich an seinen Vater und erhob die Stimme, damit jeder in der Halle ihn hören konnte. „Egil Eiriksson, mein Vater, ich stelle dir Yvaine of Selsey vor, meine Verlobte.“
Verblüfftes Schweigen folgte seiner Ankündigung. Und dann brach aufgeregtes Stimmengewirr los. Gunhilds zorniger Aufschrei übertönte den Lärm.
„Was?“, kreischte sie.
Yvaine stand stumm und wie gelähmt da. Ihre Augen waren groß und ungläubig. Wären sie tatsächlich verlobt, würde sie seiner Familie einen offiziellen Besuch abstatten, aber jeder Einzelne seiner Mannschaft wusste, dass sich zwischen ihm und ihr an Bord des Schiffes keine Romanze angebahnt hatte.
„Bei den Göttern!“, rief eine weitere zornige Stimme, und die Menge verstummte. „Wir heiraten keine englischen Gefangenen!“ Othar drängte sich durch die Menge, sprang auf das Podest und stellte sich neben seine Mutter.
„Ganz recht“, bestätigte Gunhild. „Wenn du das Mädchen haben willst, nimm sie zur Konkubine. Es gibt keinen Grund, sie zu heiraten. Eine Gefangene bringt keine Mitgift, und woher sollen wir wissen, dass sie unberührt ist?“ Sie warf Yvaine einen hasserfüllten Blick zu und wandte sich an ihren greisen Gemahl. „Tugendhaftigkeit ist eine sehr wichtige Eigenschaft für eine Ehefrau, stimmt’s, Egil?“
Egil blieb still und trug eine seltsam starre Miene zur Schau, dass Yvaine sich fragte, ob er überhaupt begriff, was vor sich ging. Wie als Antwort auf ihre stumme Frage, ließ er ein kurzes Lachen hören und schaute zu Rorik auf.
„Gunhild hat Recht, Rorik. Das Mädchen war viele Tage auf deinem Schiff, und selbst meine schlechten Augen erkennen, dass sie eine Schönheit ist.“
„Sie ist unberührt“, entgegnete Rorik knapp.
Egil zog die Brauen hoch. Ehe er etwas sagen konnte, hatte Gunhild Yvaine am Arm gepackt und zog sie zum Licht. „Woher willst du das wissen?“, forderte sie schrill. „Die Engländer lügen. Schau sie dir genau an, Egil. Schau dir diese Katzenaugen an. Ich wette, diese Person hat einen Bann über deinen Sohn gesprochen.“
„Rede keinen Unsinn, Gunhild.“ Rorik trat vor und stieß die Hand der Frau von Yvaine. „Du magst das Regiment in diesem Haus führen, wenn ich auf Seefahrt bin. Aber nimm dir nicht zu viel heraus und hüte deine Zunge.“
„Ich lasse mir nicht den Mund verbieten. Das berührt die Ehre deines Vaters. Hast du vergessen, warum du nach England gesegelt bist? Hast du vergessen, dass du die Pflicht hast, Rache für deinen Vetter zu nehmen?“
Bei diesen Worten blinzelte Yvaine verdutzt, doch es blieb ihr keine Zeit, sich mit dem unerwarteten Grund von Roriks Plünderfahrten zu befassen.
„Ich habe meine Pflicht getan“, antwortete er schroff. „Es sind genügend angelsächsische Soldaten gefallen, um den Tod von Sitric und seinen Gefolgsleuten zu rächen.“
„Ich habe nicht gesehen, dass du einen einzigen Angelsachsen auf dieser Fahrt getötet hättest, Rorik.“ Othars Augen funkelten gehässig. „Und das ist noch nicht alles, Vater. Rorik hat mich im Beisein der ganzen Mannschaft geschlagen, und dann hat er …“
„Genug!“, befahl Egil, richtete sich mühsam auf und wies mit dem knorrigen Zeigefinger auf Othar. „Ich höre mir deine Geschichten nicht an, bevor du mir nicht sagst, was du getan hast, um deinen Bruder in seiner Vergeltung für Sitric zu unterstützen.“
Othar feixte selbstgefällig. „Na ja, ein paar dieser angelsächsischen Würmer mussten zusehen, wie ihre Frauen und Töchter für ihre Verbrechen büßten.“
„Pah!“ Egils Faust fuhr auf die Armlehne nieder. „Nennst du Vergewaltigung eine angemessene Rache für Sitrics Tod? Du unreifes Großmaul. Du hast wohl vergessen, warum du Norwegen verlassen musstest.“
„Ich habe getötet“, verteidigte Othar sich verdrossen. „Einen Kerl, der mir nicht aus dem Weg gehen wollte. Der Trottel gaffte unser Schiff an, als habe er so etwas noch nie gesehen. Er hat sich nicht einmal verteidigt.“ Er zuckte gleichmütig mit den Achseln. „Ich glaube, er war nicht ganz richtig im Kopf.“
„Du hast Jankin getötet?“ Yvaine schreckte aus ihrer Betäubung hoch und trat einen Schritt auf Othar zu. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr, wer für Jankins Tod verantwortlich war.
„Woher soll ich das wissen?“ Er bedachte sie mit einem verächtlichen Blick.
Weitere Kostenlose Bücher