Historical Exclusiv 45
nicht zu ängstigen, so sehr war sie von der Szenerie, die sich ihr bot, gefangen.
Das Boot fuhr einen schmalen Fjord entlang. Das stille Wasser, das der Bug durchpflügte, war von einem durchsichtig klaren Blau. Saftig grüne Wiesen säumten die Ufer, stiegen allmählich an und gingen in dichte Nadelwälder über, die bis zu schroffen Felswänden reichten. Gekrönt wurde die atemberaubende Landschaft von schneebedeckten Gipfeln in der Ferne, die in einen blauen, wolkenlosen Himmel ragten. In die Geräusche der klatschenden Ruderschläge mischten sich vereinzelte Vogelschreie. Und dann ertönte ein lang gezogenes Hornsignal, das von den Felswänden in einem vielfachen Echo wiedergegeben wurde. Zwei anhaltende Töne.
Yvaine neigte den Kopf und lauschte fasziniert.
„Unsere Rückkehr wird angekündigt“, sagte Rorik. „Kommt an meine Seite, wir sind bald da.“
Seine Bemerkung holte sie jäh in die Gegenwart zurück. Sie blickte zu ihm auf, aufgewühlt von Erwartung und Beklommenheit, denn sie wusste, dass der Kampf nun erst richtig beginnen würde.
„Wie wollt Ihr mich vorstellen?“, fragte sie angriffslustig. „Als Kriegsbeute?“
Rorik ergriff ihren Arm und zog sie neben sich. „Zieh deine Krallen ein, Wildkatze. Ich muss keine Erklärung abgeben. Du stehst neben mir, und jeder wird wissen, dass du mir gehörst.“
„Ach tatsächlich?“ Sie wollte sich ihm entziehen, nur um festzustellen, dass es keine Fluchtmöglichkeit gab. Selbst wenn, hatten sich ihre eigenen Sinne gegen sie verschworen. Sie wollte an seiner Seite bleiben, wollte seinen kraftvollen Herzschlag spüren, die männliche Hitze und Kraft, die von ihm ausging. Der Wunsch, ihm zu folgen, wohin er sie führte, sich von ihm beschützen zu lassen, war überwältigend – aber sie musste dagegen ankämpfen.
„Wie günstig für Euch“, murmelte sie. „Ich soll also im gleichen Haus wie Eure Stiefmutter wohnen, und Ihr geht Eurer Wege. Schließlich sind wir ja nur Frauen. Ein Gegenstand, den man besitzt.“ Sie drehte sich unwirsch in seinem Arm. „Und ein Gegenstand denkt nicht. Fühlt nicht.“
Sie hielt inne, denn sie fürchtete, ihre Stimme würde ihr versagen. Ihre eigenen Worte trafen sie wie Peitschenhiebe. Wenn Rorik sie als seine Konkubine im gleichen Haus unterbringen würde, dem seine Stiefmutter vorstand, würde er sie nicht als Mensch achten, nicht ihren Stolz, nicht ihre Ehre.
Ihr Herz krampfte sich bei diesem Gedanken zusammen. Unter solchen Umständen könnte sie sich ihm nicht hingeben, auch wenn er sie noch so höflich und zuvorkommend behandelte.
Sie grub die Fingernägel in die Handflächen und drängte die Tränen zurück, die ihr in den Augen brannten.
Sie hörte nicht, wie Rorik scharf Luft holte. Er öffnete den Mund, um ihr zu versichern, dass in Norwegen Konkubinen ebenso geachtet wurden wie Ehefrauen. Aber die Worte wollten ihm nicht über die Lippen kommen.
Er blickte in ihre tränenfeuchten Augen und erkannte plötzlich, was er getan hatte. Er, der noch nie in seinem Leben einer Frau Gewalt angetan hatte, hatte ein unschuldiges Mädchen aus ihrer Heimat entführt, weil er sie mit einer Heftigkeit begehrte, die er mittlerweile kaum noch zügeln konnte. Er hatte aus der tiefen Überzeugung gehandelt, dass sie ihm gehörte, ohne einen einzigen Gedanken an ihre Gefühle zu verschwenden.
Er hatte sie zu etwas gezwungen, was vermutlich ihren Stolz zutiefst verletzte und ihm jede Chance nahm …
Heftig schüttelte er den Kopf. Woher kam diese plötzliche Angst, er könne etwas unendlich Zerbrechliches, etwas unerklärlich Kostbares verlieren? Nichts, was er begehrte, würde Yvaine ihm letztlich verwehren. Er wollte sie nicht zwingen, und jedes Mal, wenn er sie berührte, spürte er ihr unschuldiges, zaghaftes Sehnen. Und es kostete ihn große Mühe, seine Leidenschaft zu zügeln, um nicht in wilder Gier über sie herzufallen.
„Ich weiß, das alles ist für dich fremd und beängstigend. Aber ich werde dich zu nichts drängen“, meinte er schließlich.
Stumm blickte sie zu ihm auf, unendlich schutzlos und verletzlich. Die Brust wurde ihm eng, als presse die Hand eines Riesen sein Herz zusammen. Er wollte weitersprechen, um sie in Sicherheit zu wiegen. Doch dann ertönte ein zweites Mal das Hornsignal.
Am grünen Ufer hatte sich eine Menschenmenge versammelt, die dem Schiff begeistert zujubelte.
Es blieb keine Zeit für lange Erklärungen. Aber in diesem Moment vereinte sich sein wildes Verlangen mit tief
Weitere Kostenlose Bücher