Historical Exclusiv 45
gebraucht, um dreißig Männer zu rächen? Diese Aufgabe hat er längst erledigt. Er hat Geschmack an den Plünderfahrten gefunden. Und du mit deinen dürftigen Reizen wirst ihn wohl kaum lange auf Einervik halten. Dann werden wir ja sehen, wer hier das Sagen hat.“
Die Tür schloss sich leise hinter den beiden Frauen.
Yvaine hörte, wie der Schlüssel gedreht wurde, sprang aus dem Bett und griff nach dem Unterhemd von dem Kleiderstapel auf der Truhe. Gunhilds Bosheit war vergessen, als sie sich das Hemd hastig überstreifte. Sie hatte zu viele andere Sorgen.
Nicht zuletzt die Sorge, dass sie Rorik möglicherweise bis aufs Blut reizte und er die Geduld verlor, wenn sie sich den Bräuchen seines Landes widersetzte und sich vollständig wieder anzog.
Unschlüssig blickte sie an sich herab. Das Hemd reichte ihr zwar nur bis zu den Knien, dennoch gab es ihr das Gefühl, nicht völlig schutzlos zu sein. Zumindest würde es ihr einen Aufschub vor seinem Überfall gewähren.
Ihr Magen krampfte sich zusammen. Aus den dunklen Ecken der Kammer schien das Unheil hervorzukriechen. Angst und Hilflosigkeit machten ihr die Hände feucht. Sie war kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Aber sie musste klar denken.
Was sollte sie tun? Sich gegen ihn zur Wehr setzen? Willenlos daliegen? Oder dem Drang nachgeben, der mit jeder seiner Berührungen stärker wurde? Die Heirat weiterhin zu leugnen wäre sinnlos. Rorik betrachtete sie als seine Ehefrau, was immer sie auch dagegen einzuwenden hätte. Aber hatte er nicht versprochen, ihr Zeit zu geben? Wie sollte sie ihn besser kennen lernen, wenn sie, kaum dass sie einen Fuß auf norwegischen Boden gesetzt hatte, zu einer Ehe und einer Hochzeitsnacht gezwungen wurde?
Was hatte das alles für einen Sinn? Sie setzte sich auf die Bettkante. Warum kämpfte sie gegen sich selbst? Sie war vernünftig genug, um zu wissen, dass auch hier Frauen kein Mitspracherecht hatten. Vor fünf Jahren war sie bereit gewesen, an Ceawlins Seite ihre Pflicht zu erfüllen, obwohl sie auch damals große Ängste ausgestanden hatte. Und warum durchrieselten sie jedes Mal prickelnde Schauer, wenn sie daran dachte, dass Rorik seine ehelichen Rechte in Anspruch nahm?
„Du Närrin!“, entfuhr es ihr halblaut. Sie sprang auf und schlang die Arme um sich. Ihr Benehmen war absurd und lächerlich. War sie nicht bereit, ihm zu Willen zu sein, wollte sie nicht ihre Neugier und sein Verlangen stillen?
Was würde sie dabei verlieren?
Konnte sie noch länger leugnen, dass ihr Herz beteiligt war?
In jener Sturmnacht, in dem kristallklaren Moment, als sie unter dem Mast gekauert und Roriks Bild sich für alle Ewigkeit in ihr eingeprägt hatte, war es ihr bewusst geworden. Rorik, der gegen die entfesselten Elemente, gegen tosende Brecher, Blitz und Donner kämpfte.
Sie hatte es gewusst und sich vor der Wahrheit versteckt, sich eingeredet, es sei Dankbarkeit, Abhängigkeit. Irgendetwas. Bis er ihr den Schutzschild ihrer Ehre entrissen hatte mit dieser Hochzeit und sie damit gezwungen hatte, sich ihrer wahren Angst zu stellen: Ihn zu lieben und sich seinem Verlangen hinzugeben würde ihren Untergang bedeuten.
Die Heirat war keine Lösung. Denn ohne Liebe würde sein Verlangen verglühen; ohne Liebe würden Pflicht und Ehrgefühl sich in Ketten verwandeln, gegen die er sich eines Tages auflehnen würde. Es sei denn …
Konnte sie sein Herz gewinnen?
Die Aufgabe erschien ihr unlösbar. Rorik würde sie wohl immer beschützen, aber da es in seinem Leben nie eine weiche Regung gegeben hatte, war er wohl gar nicht fähig zu lieben.
Und dennoch … Sie hatte gesehen, wie er die leblose Hand des sterbenden alten Kriegers um das Heft seines Schwertes gelegt hatte. Er hatte sich darum gekümmert, dass ihre Mitgefangenen die Chance für eine lebenswerte Zukunft erhielten. Er hatte die Frauen auf dem Schiff behalten, weil sie ihn darum gebeten hatte.
Er war gnadenlos in seiner Entschlossenheit, sie zu besitzen, als er sie aber berührt und in den Armen gehalten hatte, hatte sie da nicht noch etwas gespürt? Das war nicht nur Behutsamkeit gewesen, sondern eine tief verborgene Zärtlichkeit.
Und sie liebte ihn. Ihr blieb gar keine Wahl. Wenn sie ihre Freiheit und ihr Herz verlor, dann musste sie um die Chance kämpfen, seine Liebe zu gewinnen.
In diesem Moment hörte sie, wie der Schlüssel klirrte.
Yvaine sprang auf die Füße, als die Tür geöffnet wurde. Sie hörte, wie Rorik etwas im Flur sagte, dann trat er ein
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