Historical Exclusiv 45
als Othar eintrat.
„Was tust du hier?“, wollte sie wissen und hätte sich beim Beben ihrer Stimme am liebsten auf die Zunge gebissen. Sie suchte Halt am Rand der Holzwanne. Kein Grund zur Panik. Anna würde jeden Moment hier sein.
Feixend schlug Othar die Tür mit dem Fuß zu. Er schwankte ein wenig. „Rorik riet mir, ein Bad zu nehmen. Er will, dass ich zum Leichenmahl morgen sauber bin.“ Er steckte die Daumen in den Gürtel und wippte auf den Fersen. „Ich ahnte nicht, dass ich Gesellschaft haben werde, aber da du nun schon mal hier bist …“
„Das musst du gewusst haben, du hast doch den Schlüssel.“ Aber vielleicht war Gunhild nicht die Einzige mit einem Schlüssel. Vielleicht war Othar direkt von der Grabstätte gekommen. Und er hatte ein Bad wahrlich nötig. Den säuerlichen Biergeruch, den er ausdünstete, konnte sie auch auf die Entfernung riechen.
„Dann überlasse ich dich deinem Bad“, sagte sie betont gelassen, nahm die Hand vom Wannenrand und trat einen Schritt vor.
Othar rührte sich nicht von der Stelle.
„Bitte lass mich vorbei, Othar. Wenn Rorik dich hier findet …“
„Hast du Angst, er wird dich verstoßen? Mach dir nichts draus, wenn du mir Vergnügen bereitest, sorge ich für dich.“
„Rede keinen Unsinn. Ich will das nicht gehört haben“, wies sie ihn streng zurecht. „Und jetzt …“
Er trat einen Schritt vor.
Yvaine warf einen hastigen Blick zur Tür, wich zurück, suchte verzweifelt nach einer Fluchtmöglichkeit. Wenn Othar ihr folgte, gelang es ihr vielleicht, mit einem Satz die Freiheit zu erreichen, sobald er sich an der Längsseite der Wanne befand. Er hatte die Tür nicht abgesperrt, und das Bier, dem er so reichlich zugesprochen hatte, verlangsamte vermutlich seine Reflexe. Der Rausch könnte ihn aber auch noch tückischer machen. Vermutlich war es ratsam, ein Hindernis zwischen ihnen zu haben.
Sie sah sich schon in wilder Hast um die Holzwanne gescheucht, bis endlich Hilfe nahte, und wich einen weiteren Schritt zurück. Ihre Ferse stieß gegen etwas Hartes. Das Blut gefror ihr in den Adern. Sie war gefangen. Sie warf einen hastigen Blick nach unten. Drei Holzstufen, die den Einstieg in die Wanne erleichterten, versperrten ihr den Rückzug. Auf der anderen Seite des Einstiegs führte ein breiter Graben von der Wanne zu einem Loch in der Holzwand.
„Mit den langen Röcken würde ich nicht über die Stufen und den Abfluss springen“, riet Othar in gespielter Fürsorge. „Du könntest dich verletzen.“
„Wenn du nicht augenblicklich verschwindest, kannst du was erleben“, warnte Yvaine ihn. „Anna ist mit einigen Sklaven auf dem Weg hier herauf.“
Sein selbstzufriedenes Lächeln ließ sie daran zweifeln. Sie verschärfte ihre Drohung. „Und Rorik? Du bist verrückt, wenn du denkst …“
„Sag das nicht!“, brüllte er plötzlich. „Sag das nie wieder!“
Er stürzte vor. Seine Lüsternheit hatte sich blitzschnell in rasende Wut verwandelt. Yvaine blieb keine Zeit auszuweichen, als Othar ihren Arm packte.
In diesem Moment fing ein dürrer Ast Feuer, die züngelnden Flammen beleuchteten Othars Gesicht von unten und verwandelten es in eine Teufelsfratze.
Sie schrie gellend, als er sie an sich riss. „Ich beweise es dir“, knurrte er mit gefletschten Zähnen. „Ich beweise dir, dass ich ein Mann bin und kein grüner Junge, für den mich alle halten.“
Yvaines Magen drohte sich umzudrehen bei dem säuerlichen Gestank, den er ihr ins Gesicht hauchte, aber seine Worte brachten sie wieder zur Vernunft. Sie hatte es mit einem betrunkenen Halbwüchsigen zu tun, nicht mit einem Dämon. Othar versuchte, sie mit dem Rücken gegen die Wanne zu drücken. Sie schrie wieder, diesmal aus Zorn und weniger aus Angst, schlug mit den Fäusten auf ihn ein, holte erneut Luft, um wieder laut zu schreien, als die Tür aufgerissen wurde.
Rorik stürmte herein, packte Othar am Wams im Nacken und beförderte ihn mit einer Armdrehung ins Freie.
Yvaine verfolgte verblüfft, wie Othar durch die Luft flog, sich überschlug, über den Teppich aus Fichtennadeln schlitterte und mit voller Wucht gegen einen Baum prallte. Sie hatte gewusst, dass Rorik über Bärenkräfte verfügte, aber diese Kraft, die nötig war, um einen kräftigen Mann von sich zu schleudern, dass er sich überschlug und gegen einen Baum prallte, war Furcht erregend. Sie blickte zu ihm auf, unfähig, dem Zittern ihrer Knie Einhalt zu gebieten.
„Hat Othar dir etwas angetan?“, fragte er
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