Historical Exclusiv 45
Arbeiten zu. Ein Haussklave wurde angewiesen, das Öl in den Lampenschalen nachzufüllen; zwei Mägde kehrten den Fußboden und legten frische Streu aus. Yvaine ließ die beiden hohen Lehnstühle mit Wachs einreiben und polieren, bis sie glänzten. Sie ließ sogar den großen Schild hinter Egils Stuhl abnehmen und putzte ihn, bis das Gold schimmerte und die Edelsteine im Lampenschein funkelten.
Sie war so versunken in ihre Arbeit, bestaunte den Schild mit seinen bunten Darstellungen von Göttern und Helden, dass die Sonne bereits über den Bergen im Westen stand, als sie Zeit für ihren Spaziergang fand.
In den Sommermonaten blieb es im hohen Norden bis in den späten Abend hell, und sie sehnte sich nach frischer Luft und wollte allein sein. Auf dem Weg zum Fjord sog sie die würzige Luft tief ein.
Einsamkeit war ihr allerdings nicht gegönnt. Die erste Person, die sie auf dem Weg über die Wiese entdeckte, war Gunhild, die unten am Steg stand und sie beobachtete.
Es wäre unhöflich gewesen, umzukehren oder einen anderen Weg einzuschlagen. Also setzte Yvaine ihren Weg fort und bereitete sich innerlich auf die unerfreuliche Begegnung vor.
„Ich schulde dir Dank“, empfing Gunhild sie. „Ingerd sagt, du hast die Sklaven den ganzen Tag zur Arbeit angehalten.“
„Ich hielt es für vernünftig“, antwortete Yvaine und fragte sich, wann Ingerd mit ihrer Herrin gesprochen haben mochte.
„Nun, ich wollte dich nicht kritisieren.“ Gunhilds schmale Lippen verzogen sich zu einem säuerlichen Lächeln. „Ich bin dir dankbar. Ich konnte es heute Morgen nicht länger im Haus aushalten. Das Wehklagen und Händeringen war mir unerträglich.“
Mitgefühl regte sich in Yvaine und ein Anflug von schlechtem Gewissen. Hatte sie Gunhild falsch eingeschätzt? Hatte sie sich ihrer Schwiegertochter gegenüber nur so boshaft verhalten, weil sie fürchtete, ihre Vormacht im Haus zu verlieren, ehe ihre Vernunft wieder einsetzte?
„Möchtest du mich auf meinem Spaziergang begleiten, Gunhild?“, fragte Yvaine spontan. „Es ist ein so angenehmer, friedlicher Sommerabend.“ Als sie sich umschaute, bemerkte sie, dass kein Mensch zu sehen war. „Wo sind denn die Männer?“
„Sie arbeiten an der Grabstätte. Ich komme gerade von dort.“ Gunhild beobachtete sie lauernd. Als Yvaine keine weitere Frage stellte, wies sie einen schmalen Pfad entlang. „Dort oben liegt das Badehaus. Hast du es schon gesehen?“
„Nein.“ Yvaine ging neben ihr her und verdrängte den Gedanken, ausgeschlossen zu sein. Sie hatte Besseres zu tun, als den ganzen Tag zuzusehen, wie die Männer ein tiefes Loch gruben.
„Ihr habt ein Haus, in dem man badet?“
„Ich wundere mich, wieso Rorik es dir noch nicht gezeigt hat.“ Gunhild zwang sich zu einem Lächeln. „Ein heißes Bad kann eine sehr wohl tuende Wirkung haben. Obwohl du heute schon wieder beinahe normal gehst.“
Yvaine verzog keine Miene.
„Zweifellos hat Rorik dich heute Nacht geschont. Du kannst dich glücklich schätzen, mit ihm verheiratet zu sein, obwohl diese Ehe auch für Rorik Annehmlichkeiten hat.“
Rorik war also in der Schlafkammer gewesen. Warum war er nicht geblieben?
„Ich sehe für Rorik keine große Annehmlichkeit“, entgegnete sie, fest entschlossen, Gunhild nicht die Genugtuung zu geben, dass die Pfeilspitzen ins Schwarze getroffen hatten, falls ihre Bemerkung als Verletzung gedacht war.
„Weil du unsere Sitten nicht kennst.“ An der Weggabelung schlug Gunhild den Pfad ein, der den Hügel hinauf führte. „Du bist jungfräulich in die Ehe gegangen, der Beweis ist erbracht. Mit einer Jungfrau zu liegen verleiht einem Krieger Kraft und Schutz in der Schlacht.“
„Rorik musste mich nicht heiraten, um mich in sein Bett zu bekommen.“
„Nein“, meinte Gunhild gedehnt. „Das musste er wohl nicht.“ Sie warf Yvaine einen flüchtigen Seitenblick zu und wies auf ein Blockhaus neben dem Weg. „Da ist das Badehaus. Wie du siehst, ist es nicht weit vom Fjord entfernt, um das Wasser heraufzubringen.“
Gunhild zog eine klirrende Kette aus den Falten ihres Gewandes, die an der Spange an ihrer linken Schulter hing, suchte den passenden Schlüssel, steckte ihn ins Schloss und sperrte auf.
„Wir halten das Badehaus stets verschlossen, um das Gesinde davon abzuhalten, sich hier zu allerlei Vergnügungen zurückzuziehen“, erklärte sie und stieß die Tür auf. „Es ist ein abgeschiedener Ort.“
Yvaine ließ den Blick schweifen. Hier unter den Bäumen war
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