HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
Beine den Pfad gefunden, der zwischen den Felsen zum Strand führte. Schon beim Gehen hatte sie mit zitternder Hand begonnen, das Kleid aufzuknöpfen.
Mary zwang die Gedanken in die Gegenwart zurück und sagte sich, die Sache mit Cameron MacKenna sei vorbei. Sie war jetzt in Afrika und mehr denn sechstausend Meilen gereist, um das zu Ende zu bringen, was in jener Nacht begonnen hatte. Aber ganz ausgelöscht werden konnten die Erinnerungen nicht, denn damals hatte sie Jennifer empfangen.
Sie verließ den dunklen Hof, kehrte auf Zehenspitzen in ihr Zimmer zurück und verschloss hinter sich die Tür. In der Stille war das regelmäßige Atmen der Tochter zu hören, in das sich leise Sauggeräusche mischten. Erfüllt von Zärtlichkeit, neigte Mary sich über das Bett und zog Jenny sacht den feuchten, rosigen Daumen aus dem Mund. Sie verweilte noch, schaute sie an und fühlte eine starke Aufwallung mütterlicher Liebe. Sie wusste, sie würde alles für die Tochter tun, um sie kämpfen, für sie stehlen, ihr zuliebe sogar einen Mord begehen, sollte es notwendig sein. Und sie würde Arthur Tarrington-Leigh heiraten.
Vorsichtig setzte sie sich auf das Fußende des Bettes, schnürte die Stiefeletten auf und ermahnte sich, ihre Pläne der Reihe nach auszuführen. Am kommenden Vormittag würde sie sich in das Büro der Eisenbahngesellschaft begeben, nach dem Gatten erkundigen und vielleicht, sollte ihr Glück beschieden sein, erfahren, dass er sich in der Nähe von Mombasa aufhielt. Falls sie Pech hatte, würde sie ihn suchen müssen. Doch sie würde ihn aufspüren, selbst wenn sie ihm durch den gesamten Schwarzen Kontinent zu folgen hatte, und erledigen, was zu Ende gebracht werden musste. Denn sie würde es für ihre Tochter tun.
Der Angestellte hinter der Theke im Büro der Eisenbahngesellschaft von Uganda blickte auf, als Mary den Raum betrat, und hörte auf, mit tintenfleckigen Händen einen unordentlichen Stapel Papiere zusammenzuschieben.
„Wie kann ich Ihnen dienen, Madam?“, fragte er und lugte sie über das Drahtgestell der Brille an. Das glatte schwarze Haar und die kaffeebraune Haut ließen auf indische Abstammung schließen, doch die Khakihosen und der kurze Haarschnitt entsprachen westlicher Mode. Ein Bleistift steckte hinter dem linken Ohr.
Mary räusperte sich und antwortete: „Ich suche einen Herrn namens Cameron MacKenna. Soweit ich weiß, ist er für dieses Unternehmen tätig.“
„MacKenna?“
In den dunklen Knopfaugen des Mannes leuchtete kein Funke des Erkennens auf, und Mary sank das Herz. Der Bau der Eisenbahnlinie von Mombasa über Nairobi zum Victoriasee war ein gewaltiges Unterfangen, doch die meisten der Arbeiter waren, wie Mary erfahren hatte, von Bombay hertransportiert worden. Also würde man sich gewiss an einen hochgewachsenen blauäugigen Schotten erinnern.
„Welche Arbeit übt Mister MacKenna aus?“, erkundigte sich James Atherton.
„Das weiß ich nicht genau. Aber bestimmt haben Sie eine Liste der Beschäftigten.“
Mit einem gedehnten Seufzer schob er den Haufen Unterlagen beiseite und sagte: „Gut, ich kann nachsehen. Sind Sie eine Verwandte Mr. MacKennas?“
„Er ist …“ Sie zögerte einige Sekunden und antwortete dann entschlossen: „Er ist mein Gatte. Ich muss ihn finden. Deshalb habe ich die lange Reise unternommen.“
James Atherton nickte knapp, drehte Mrs. MacKenna den Rücken zu und begann, in einem Aktenschrank zu kramen.
Mary wandte sich vom Thresen ab, wich einem den Fußboden schrubbenden Inder, der einen Turban trug, aus und blieb vor den an einer stockigen Wand angebrachten Übersichtskarten stehen. Sie zeigten die Fortschritte beim Bau der in einer schräg von Mombasa am Galana entlang bis hin zur ugandischen Grenze verlaufenden Eisenbahnlinie in den vergangenen vier Jahren. Auf der letzten war die Strecke erst knapp bis zur Hälfte des geplanten Zieles vorgedrungen. Durch die in der „Times“ über die „Wahnsinnseisenbahn“, erschienenen Artikel wusste Mary, dass die am Bau beteiligten Arbeiter mit unvorstellbaren Schwierigkeiten zu kämpfen hatten und von Dürren, Überschwemmungen, Krankheiten und Angriffen durch wilde Tiere heimgesucht worden waren. Bei jedem vom Gatten eingetroffenen Brief hatte sie die Erleichterung der Schwiegermutter geteilt, ihn noch am Leben zu wissen, denn die Zahl der beim Streckenbau ums Leben Gekommenen war mittlerweile in die Tausende gestiegen.
„Die Akte Ihres Mannes ist hier, Mrs. MacKenna. Er gehört zur
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