HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
zurückgelegt und die Absicht gehabt, auf die gleiche Weise zurückzufahren. Nun jedoch merkte sie, dass sie viel zu nervös war, um so lange still zu sitzen. Um zu Fuß, noch dazu in ihren besten Trotteurs, in das Haus des Emirs zurückzukehren, war es allerdings viel zu heiß. Aber sie brauchte Zeit zum Nachdenken, und das gelang ihr am besten, wenn sie sich bewegte. Daher beschloss sie, den Ort etwas zu erkunden. Vielleicht kam ihr dann ein geeigneter Einfall, wie das anstehende Problem zu lösen sei.
Als Stadt konnte man Kilindini kaum bezeichnen. Der hier im Bau befindliche neue Hafen bestand im Augenblick nur aus riesigen Stapeln unbehauener Hölzer und halb fertigen Lagerhallen, die in der drückenden Hitze von schwitzenden Maurern errichtet wurden. Lediglich der verwahrlost wirkende indische Bazar, der rechts vom Büro der Eisenbahngesellschaft begann, schien interessant zu sein.
Die Röcke vor dem Staub hochraffend, schlenderte Mary durch die winkeligen Gassen mit den offenen Verkaufsständen, in denen neben Messingwaren, Erzeugnissen aus Zinn und Strohmatten auch billige Baumwollstoffe amerikanischer Herkunft, Orangen und klebrig aussehende Süßigkeiten feilgeboten wurden, die Schwärme schwarzer Fliegen anlockten. Spindeldürre Kinder starrten Mary neugierig aus kaffeebraunen Augen an. Ein Händler hielt ihr einen Strick mit klirrenden Armreifen hin. Sie schüttelte den Kopf und ging grübelnd weiter.
Vielleicht hatte der Eisenbahnangestellte doch recht. Es war denkbar, dass ihr Gatte nach Mombasa kam, nachdem er erfahren hatte, dass sie sich hier aufhielt. Es konnte viele Gründe geben, warum er die Scheidungspapiere nicht an den Anwalt zurückgeschickt hatte. Möglicherweise hatte er sie gar nicht erhalten. Mary kam zu der Erkenntnis, dass er eigentlich keinen Anlass hatte, ihr auszuweichen und sich zu weigern, in die Trennung einzuwilligen, da er sie ja nie hatte heiraten wollen. Wenn sie klug war, würde sie in das Büro der Eisenbahngesellschaft zurückehren, dem Gatten einen Brief schreiben und ihm Duplikate der Dokumente zuschicken. Die Stimme der Vernunft verstummte jedoch rasch. Mary hatte keine Geduld mehr und das Bedürfnis, die Angelegenheit mit dem Gemahl unverzüglich und ein für alle Mal zu Ende zu bringen. Und um das zu erreichen, musste sie am nächsten Morgen auf dem Güterzug sein.
Gedankenvoll ließ sie den Blick über die Reihe schmuddeliger kleiner Läden schweifen, als suche sie im Unterbewusstsein nach einer Inspiration, wie sie das Hindernis überwinden könne. Und plötzlich hatte sie eine Idee. Den Plan durchzuführen, würde indes das Wagemutigste und Gefährlichste sein, was sie je getan hatte, doch sie begriff, dass ihr kein anderer Ausweg blieb.
3. KAPITEL
Alles war arrangiert. Mary kehrte mit einem Gharri nach Mombasa zurück und verbrachte den Rest des Tages in einem Zustand innerer Aufregung. Sie kramte im Schlafzimmer, plauderte mit Halil ibn Aybak und schaute der mit Jehanis kleinen Söhnen herumtollenden Tochter zu. Jennifer hatte sich gut in den Haushalt des Emirs eingefügt. Halils drei Frauen waren von ihr hingerissen und die beiden Knaben entzückt, eine neue Gefährtin zu haben. Kichernd und ausgelassen hatten sie die Kleine in Spiele einbezogen, die keiner Erklärung durch Worte bedurften.
Auch jetzt, nach Anbruch der Abenddämmerung, rannten sie noch durch den schattigen Garten, und ihr Gelächter mischte sich in das Zirpen der Grillen und Zikaden. Mary saß auf einer Marmorbank, schaute den Kindern zu und versicherte sich zum ungezählten Male, dass die Tochter gut aufgehoben war. Halil ibn Aybak konnte mit Jennifer englisch sprechen; seine Frauen würden sich um sie kümmern und seine Söhne sie beschäftigt halten. Und sollte die Notwendigkeit bestehen, sie vor irgendetwas zu beschützen, war der Leibwächter da. Mary sah zu ihm hinüber. Er hielt am anderen Ende des Hofes bei einem Torbogen Wacht und grinste schmierig, als ihre Blicke sich trafen. Hastig wandte Mary die Augen ab. Er hatte Jennifer das Leben gerettet und sogar ihre triefnasse Cappeline. Mary wusste, sie stand für immer in seiner Schuld. Dennoch verursachte ihr sein schmeichlerisches Grinsen stets großes Unbehagen.
Die Kinder hatten inzwischen ein Äffchen auf eine Palme gescheucht und versuchten, es mit Mangostückchen herunterzulocken. Mary vernahm das Rascheln seidener Gewänder, drehte sich um und sah den Emir, der neben ihr Platz genommen hatte. „Jenny ist hier offensichtlich
Weitere Kostenlose Bücher