HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
älterer Mann, ein Jüngling, zwei halbwüchsige Mädchen und ein Kleinkind. Mary meinte, mindestens zwölf Kikuyu zu zählen. Vielleicht war es eine Großfamilie, oder es handelte sich um die Überlebenden eines Stammes. Sie wirkten keinesfalls furchterregend, nur erschöpft und ausgehungert.
„Geh aus dem Weg, Mary!“ Cameron kam in Sicht, das Gewehr auf den einarmigen Neger gerichtet. „Falls er dich anfasst, erschieße ich ihn.“
„Nein!“, widersprach Mary rasch und stellte sich zwischen ihn und den Kikuyu. „Du darfst nicht schießen, Cameron! Sieh dir doch an, in welch kläglicher Verfassung diese Menschen sind!“
Cameron seufzte gereizt. „Geh aus dem Weg!“, wiederholte er. „Wenn ich es vermeiden kann, werde ich nicht schießen. Ich will nur, dass die Eingeborenen merken, wie unwillkommen sie mir sind.“
Mary blickte zwischen ihnen und dem Gatten hin und her. Die Haut der Schwarzen spannte sich über den Knochen; die Augen lagen tief in den Höhlen, und die matten Bewegungen zeugten von einem kräfteverzehrenden langen Weg. Mary dachte an die verlassenen Hütten, die sie in den Wochen nach dem Aufbruch von Machakos gesehen hatte, wandte sich an den Gatten und sagte weich: „Diese Menschen sind fast verhungert, Cameron. Wie muss dann der Geruch des gebratenen Fleisches auf sie wirken?“
„Wenn sie sich darüber hermachen, bleibt nichts für uns übrig! Verdammt, denk doch nach, Mary Margaret! Du weißt, wohin wir wollen und was uns noch bevorstehen kann. Ich habe nur noch sechs Kugeln. Wenn ich Pech habe, verschieße ich sie an einem Tag, ohne ein Stück Wild zu erlegen.“
Mary blickte auf das jüngste Kind, einen kleinen nackten Jungen, der verschüchtert aus großen Augen zwischen zwei Bäumen hervorschaute. Die spindeldürren Beine konnten den geschwollenen Leib kaum tragen. Der Knabe schien in Jennifers Alter zu sein, und unwillkürlich sagte sich Mary, dass auch ihre Tochter an seiner Stelle sein könnte. Mit bittendem Blick wandte sie sich an den Gemahl. „Bitte, gib den Leuten und ihren Kindern zu essen.“
Er murmelte einen Fluch, hob die Schultern und ließ sie seufzend sinken. Das Gewehr im Anschlag haltend, sprach er auf den einarmigen Kikuyu in Swahili ein.
Nach kurzer Pause antwortete ihm der Schwarze in stockendem, mit vielen Gesten unterstrichenen Swahili.
Angestrengt hörte Mary zu und erfuhr, dass der Mann Nu-ma hieß und der Gatte ihm einen Teil des gebratenen Fleisches überlassen wollte. Zwei Kikuyu sollten mit ihm kommen und es holen, die anderen jedoch Abstand wahren.
Plötzlich gab eine Frau einen schrillen Schrei von sich und lief los, gefolgt von allen anderen Eingeborenen. In der Eile, an das Essen zu gelangen, rannten sie Cameron fast um. Dann machten sie sich mit gezogenen Dolchen über den Kudu her und stopften sich gierig die Münder voll. Die über dem Feuer geröstete Lende und die Stücke, die Cameron als Trockenfleisch hatte mitnehmen wollen, waren im Nu vertilgt. Numa erteilte einen scharfen Befehl, und sofort trat Ruhe ein. Er ging zu seinen Stammesgenossen und herrschte sie wütend in ihrer Sprache an. Mary entnahm seinem verärgerten Mienenspiel, dass er ihnen offenbar Vorhaltungen machte. Verlegen die Blicke senkend, wichen sie zurück und leckten sich verstohlen die Finger ab. Würdevoll drehte Numa sich zu Cameron um und gab ihm zu verstehen, er möge sich den Teil vom erlegten Kudu abschneiden, den er für sich wolle, und den Rest den Kikuyu überlassen, die ihn dann über ihren Feuern braten würden.
Resignierend zog Cameron sein scharfes Panga und schnitt eine Hinterhand des Kudu ab.
Fröhlich trugen die Kikuyu die Überbleibsel davon. Lachend sammelten den Frauen Feuerholz, und die Kinder tollten voller Vorfreude um sie herum.
Mary warf Reisig auf ihr Feuer, nahm dann das Buschmesser des Gatten und schnitt ein großes Stück Fleisch ab, das sie für ihn und sich an dem langen Stock aufspießte und über den Flammen briet. Anschließend schnitt sie den verbliebenen Rest in Streifen. Seit dem Aufbruch in Machakos hatte zwischen ihr und Cameron eine gespannte Atmosphäre geherrscht. Sie hatten kaum miteinander geredet und waren Tag für Tag in dumpfer Stimmung vorangegangen, jeder in Gedanken versunken. Doch nun empfand sie zum ersten Male ein Gefühl inneren Friedens. Die Eingeborenenfrauen hatten zu singen begonnen, und sie hielt ein Weilchen in der Beschäftigung inne, um ihnen zu lauschen. Sie bereute nicht, einen Großteil des
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