HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
hätten bereit sein müssen. Nur das Gezwitscher der Vögel und das Kreischen der Affen war zu vernehmen. Benommen erhob sich Cameron, wankte aus dem Zelt und stellte mit einem Blick fest, dass niemand im Camp war. Alle Träger und die Askaris waren verschwunden, und mit ihnen die Ausrüstung und der Proviant. Nur die verkohlten Reste eines ledernen Wasserbeutels lagen in der qualmenden Asche des Feuers. Entgeistert starrte Cameron in den Rauch und meinte, einen Albtraum zu haben oder Halluzinationen, wie damals nach dem Angriff des Löwen.
Schlagartig wurde ihm jedoch klar, was passiert war. Ein Detail fügte sich zum anderen – das verängstigte Benehmen der Eingeborenen, das seltsam schmeckende Stew und der sich mehr und mehr in ein dumpfendes Dröhnen verwandelnde Schmerz im Kopf. Die Bastarde! Die räuberischen, feigen, verräterischen Schufte! Unfähig, sich länger auf den Beinen zu halten, sank Cameron auf einen Baumstrunk und hatte das Gefühl, alles verschwimme ihm vor den Augen. Es war beruhigend, dass die elenden Wichte Mary und ihm nichts angetan hatten.
„Cameron!“
Beim Klang von Marys Aufschrei drehte er sich um. Die Gattin war zum Zelteingang gekrochen und starrte fassungslos ins Freie. „Die Swahili sind verschwunden!“
„Ja, sie sind fort“, krächzte Cameron. Am liebsten wäre er zu ihr gegangen und hätte sie tröstend in die Arme genommen, doch er wusste, dass sie ihn nach dem vergangenen Abend zurückweisen würde.
Sie mühte sich auf die Beine, hielt sich an einem Zeltpfosten fest und sagte schwach: „Ich habe gemerkt, dass etwas mit dem Stew nicht in Ordnung gewesen sein kann, als du plötzlich umgefallen bist, Cameron. Oh!“ Sie presste die Hand auf die Stirn. „Ich habe das Gefühl, als würde alles sich um mich drehen.“
„Bleib einem Moment stehen. Dann geht es bald vorbei.“ Taumelnd stand Cameron auf und schaute sich um. Die Swahili hatten ihm und der Gattin nur das Zelt gelassen und alles, was sich an Habseligkeiten darin befand. Nun waren nur noch die Schlafsäcke, zwei Feldflaschen, die Laterne, das Gewehr und eine geringe Menge Patronen vorhanden. Verhalten fluchend, überlegte er, wie lange sie beide in dieser Wildnis ohne hinreichende Ausrüstung und Proviant überleben konnten.
„Wir müssen weiter.“
Cameron vernahm die Stimme der Gattin hinter sich, drehte sich um und hatte das Gefühl, ihm ziehe sich bei ihrem Anblick das Herz zusammen. Strähniges Haar hing ihr um das schmale, kindliche Gesicht; dunkle Schatten lagen unter den blutunterlaufenen Augen, und das Khakihemd schlotterte ihr um den abgemagerten Oberkörper. Erst jetzt erkannte Cameron, wie sehr sie unter den Strapazen und Entbehrungen der vergangenen Wochen gelitten hatte.
„Wir müssen weiter!“, wiederholte sie drängend. „Wir können unsere Tochter nicht im Stich lassen, ganz gleich, was passiert.“
„Mary.“ Cameron seufzte schmerzlich. Schon der Rückweg am Tana entlang zur Küste wäre anstrengend gewesen, doch den Marsch unter den gegebenen Umständen fortzusetzen, war Wahnsinn. Die Chancen, Jennifer zu befreien, waren vorher bereits äußerst gering gewesen, aber jetzt vollends geschwunden. Ein Blick in die Augen der Gattin sagte Cameron jedoch, dass es sinnlos war, die Suche aufzugeben. Mary würde bis zum letzten Atemzug die Wildnis durchstreifen, in der Jenny verschwunden war. Und er selbst konnte auch nicht anders handeln.
„Wir dürfen nicht aufgeben, Cameron!“, sagte sie inständig. „Wir müssen weiter!“
Er wusste, die Fortsetzung des Trecks konnte ihr beider Tod bedeuten, doch eine andere Wahl gab es nicht. „Ja, mein Mädchen“, erwiderte er. „Selbstverständlich gehen wir weiter.“
15. KAPITEL
Tagsüber waren Cameron und Mary der glühenden Sonne und heißen Winden ausgesetzt, nachts strenger Kälte. Das sechzig Pfund schwere Zelt war zu unhandlich gewesen und zurückgelassen worden. Sie nächtigten so nah wie möglich beim Lagerfeuer, lagen fröstelnd in den Schlafsäcken und wachten beim geringsten Geräusch auf.
Die meiste Zeit knurrte Mary vor Hunger der Magen. Cameron hatte das übrig gebliebene Fleisch der Hirschantilope von den Knochen gelöst und geräuchert, damit es nicht verdarb. Leider konnte man nicht viel davon essen, da es zäh und ledern war und widerlich schmeckte.
Mary beklagte sich indes nicht, hing jedoch Tag für Tag Träumen von frisch gebackenem Brot, Yorkshirepudding, Windbeuteln mit Sahne und allerlei anderen Leckereien nach.
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