HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
Sie malte sich aus, ein heißes Bad mit parfümierten Essenzen zu nehmen, in einem sauberen, weichen Bett zu ruhen, in einer Kutsche auszufahren, Wasserfälle zu sehen und die lachende, fröhlich herumtollende Tochter bei sich zu haben oder sie, den Daumen im Mund, schlafen zu sehen. Je mehr Zeit verstrich, desto stärker lebte sie in einer eigenen Welt, in der sie geborgen und glücklich war. Dieses Gefühl half ihr, die unendlichen Stunden durchzustehen, und es war angenehmer, als sich mit der aus Staub, Stürmen, Zecken, Erschöpfung bestehenden Wirklichkeit abzufinden – und einem Mann, der ihr Vertrauen missbraucht hatte.
Auch wenn er in ihrer Gegenwart die verflixte Karte nie anschaute, trug er das Papier, wie sie wusste, noch bei sich und dachte bestimmt ständig an das Elfenbein. Sie war nicht dumm und konnte sich vorstellen, was mit Männern geschah, die versessen nach Reichtum strebten. Irgendwann wurden sie verrückt, verließen Heim und Familie und nahmen die unsinnigsten Risiken auf sich. Und Cameron war gewiss nicht anders als diese besitzgierigen Männer. Mary argwöhnte, er könne noch immer planen, sie und die Tochter im Stich zu lassen und dem Lockruf des weißen Goldes zu folgen. Schließlich hatte er sie ja schon früher hintergangen.
Die Ausläufer des Kenia waren mittlerweile überwunden, und der Weg verlief jetzt bergab. Wo die dichte Bewaldung freie Sicht ermöglichte, sah man die endlos weite, von Anhäufungen großer schwarzer Lavabrocken unterbrochene wellige Ebene. Auf Mary wirkte der Anblick wie die Hölle auf Erden. Doch irgendwo hinter dem Horizont war der Dscharengpass, der Ort, auf den sich alle Hoffnungen zur Befreiung der Tochter konzentrierten.
Nachdem das Räucherfleisch verbraucht war, opferte Cameron zwei kostbare Kugeln und schoss ein Kudu. Das stattliche Tier mit den schraubenförmig gewundenen Hörnern war so schön anzusehen, dass Mary sich unter anderen Umständen gegen den Abschuss gewehrt hätte. Doch ihr war klar, dass sie ohne das Fleisch der Antilope nicht überleben würden. Sie sammelte trockene Reiser, steckte zwei gespaltene Äste in die Erde und machte Feuer.
Cameron spießte ein Stück Fleisch auf einen Stock und legte ihn in die Astgabelungen.
Bald war die Luft vom wundervollen Bratenduft erfüllt, und Mary lief das Wasser im Munde zusammen. Untätig durfte sie indes nicht bis zum Essen bleiben. Während ihr Mann die Antilope zerlegte, holte sie noch mehr Feuerholz, um einen kleinen Meiler zu bauen, in dem das Fleisch geräuchert werden sollte, ein Vorgang, der Stunden in Anspruch nahm. Im Stillen hoffte sie, das Ergebnis werde besser schmecken als die sehnigen, ranzigen Überreste der Hirschantilope. Mit einem langen Stock auf das hüfthohe Gebüsch einschlagend, um Schlangen und anderes gefährliches Getier zu vertreiben, zwängte sie sich durch die Sträucher. Inzwischen hatte sie die Angst vor dem Busch verloren. Gewiss, überall war mit Gefahren zu rechnen, doch wenn man Vorsichtsmaßnahmen ergriff, war das Risiko nicht mehr so groß. Die meisten wilden Bestien, selbst Löwen, wichen misstrauisch aus, wenn man nur genügend Lärm machte. Nur die Tiere, die überrascht wurden, gingen gleich zum Angriff über.
Laut singend, sammelte Mary gebückt trockene Äste ein, hielt indes erschrocken inne, als plötzlich ein Schatten auf sie fiel. Sie erstarrte, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Da der Schatten sich nicht mehr bewegte, hob sie langsam den Kopf und sah einen einarmigen, hochgewachsenen Schwarzen vor sich stehen, der ein über die rechte Schulter geschlungenes und um die Hüften gewundenes Fell und eine Kette mit billigen Glasperlen um den Hals trug und einen langen Speer in der Rechten hielt. Sein schmutzverkrustetes Gesicht war voller ritueller Narben, und sein Blick durchdringend auf Mary gerichtet.
Hinter ihm zwängten sich drei ausgemergelte, kahl geschorene Frauen, deren nackte Brüste schlaff und faltig waren, in schäbigen Lendenschurzen durch das Gebüsch. Sie waren mit allerlei Hausrat – Kalebassen, Gerätschaften, Körben – beladen, der an ledernen, um die Köpfe gewickelten Bändern hing, die ihnen in die Stirn schnitten.
Auf eine gebieterische Geste des Negers hin richtete Mary sich vorsichtig auf. Sie wusste, dass es sinnlos war, laut zu schreien und den Gatten zu Hilfe zu rufen. Dafür war es bereits zu spät. Sie waren von den Kikuyu überrascht worden.
Wie Schemen glitten noch mehr Eingeborene aus dem Busch – ein
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