HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
Alayna.
„Den Mann quält irgendetwas“, sagte Eurice.
Alayna dachte eine Weile lang nach, bevor sie ihre Nadel wieder durch den Stoff stach. „Vielleicht. Nun, auf jeden Fall hat er jetzt noch einen Geist, der ihn quält.“
Schweigend arbeiteten sie weiter, bis es an der Zeit für das Mittagsmahl war. Alayna bemerkte erleichtert, dass Lucien nicht mit den anderen in der Halle speiste. Das Gespräch während des Essens drehte sich ausschließlich um das für diesen Abend geplante Festmahl. Jedermann sprach aufgeregt darüber, wie großzügig sich ihr neuer Lord bereits am ersten Tag seiner Herrschaft auf Gastonbury zeigte. Nach den langen, harten Jahren, die alle unter Edgars strenger Führung zu erdulden hatten, wurde der Machtwechsel erleichtert aufgenommen. Alayna musste schmerzlich feststellen, dass de Montregnier immer mehr an Beliebtheit gewann.
Nach dem Mahl suchte sie das Krankenlager auf, wo viele Männer zu ihrer Freude bereits auf dem Wege der Besserung waren. Besonders Hubert erholte sich schnell. Als sie sich vergewissert hatte, dass ihre Hilfe in der Kapelle nicht länger vonnöten war, kehrte sie wieder zu ihrer Nadelarbeit in ihre eigene Kammer zurück.
Alayna entschied, diesen Abend nicht an dem Festmahl teilzunehmen. Als Eurice dagegen protestierte, sagte sie: „Ich werde dich mit einer Nachricht zu ihm schicken, dass ich mich nicht wohl fühle oder müde bin. Warum sollte ich mich schon wieder seiner unangenehmen Gesellschaft aussetzen?“
„Alayna“, warnte sie Eurice, „reize ihn nicht zu sehr!“
„Unsinn, es wird ihm völlig gleichgültig sein. Er hasst mich ebenso, wie ich ihn verabscheue. Selbst wenn ihm meine Abwesenheit etwas ausmachen sollte, ist er viel zu stolz, um es vor den anderen zuzugeben.“
Die Amme warf ihr noch einen missbilligenden Blick zu, bevor sie die Kammer verließ. Alayna kleidete sich um und schlüpfte in eine Tunika aus weichem Leinen, dann setzte sie sich zufrieden vor den wärmenden Kamin. Sie wollte noch etwas nähen, bevor sie zu Bett ging. Doch ihr Frieden währte nicht lange. Ohne Vorwarnung flog die Tür krachend auf, und Alayna sprang erschrocken auf die Füße.
De Montregnier stand in ihrer Kammer. Sein Gesicht war so finster wie eine Gewitterwolke. Er musterte sie einen Moment lang mit seinem wütenden Blick. „Ich erhielt soeben Eure Nachricht, dass Ihr krank seid und Euch uns nicht anschließen werdet. Seltsam, zumal Ihr heute Morgen noch recht gesund ausgesehen habt“, sagte er mürrisch.
Alayna brauchte eine Weile, bevor sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. „Ja. Ich fühle mich nicht gut und bitte Euch, mich heute Abend zu entschuldigen.“
„Ich werde Euch jedoch nicht entschuldigen, Mylady, da Ihr Euch von Eurer geheimnisvollen Krankheit auf wundersame Weise erholt zu haben scheint. Ihr seht aus wie das blühende Leben.“
Langsam ließ er den Blick über ihren Körper gleiten, als ob er ihren Gesundheitszustand abschätzen wollte. Alayna wurde sich auf einmal bewusst, dass sie nur ein dünnes Hemd trug, dass vor dem Licht des Kaminfeuers zweifellos fast durchsichtig wirken musste. Errötend griff sie nach ihrem Morgengewand und zog es hastig über. Danach wandte sie sich wieder ihrem unerwünschten Besucher zu.
„Ihr zeigt wie immer keinen Anstand, de Montregnier. Nun ja, von einem ungehobelten Rüpel wie Euch sollte ich eigentlich nichts anderes erwarten.“
Lucien hob eine Augenbraue. „Ihr habt nun schon mehrmals deutlich gemacht, dass Ihr mich für irgendeinen Dahergelaufenen von niederer Geburt haltet. Wie kommt Ihr darauf?“
Alayna antwortete ihm mit einem hässlichen Lachen. „Es ist doch offensichtlich, dass Ihr an vornehme Gesellschaft nicht gewöhnt seid. Ich glaube sogar, Ihr genießt es, den Schurken zu spielen und andere vor den Kopf zu stoßen. Obwohl ich nichts von Eurer Herkunft weiß, habe ich mittlerweile gelernt, dass das Geburtsrecht oft nur wenig über das Wesen eines Menschen aussagt.“
„Nehmt Ihr Euren verstorbenen Gatten als Beispiel?“, fragte Lucien spöttisch.
Alayna überging seinen Einwurf und fuhr wütend fort: „Euer lächerliches Auftreten zeugt von Eurer Dummheit, woher Ihr auch stammen mögt.“
„Aye, die Geschichte meiner Vorfahren würde Euch sicher amüsieren“, sagte Lucien verärgert.
„Ihr spielt den finsteren Unhold, und doch seid Ihr beleidigt, wenn man Euch genau das an den Kopf wirft. Für mich seid Ihr ein Rätsel, de Montregnier. Wenn ich auch nur im Geringsten
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