HISTORICAL EXCLUSIV Band 23
des Landes, und hinter jedem Namen befand sich eine Anmerkung wie zum Beispiel: „Er schafft bewaffnete Männer heran“, oder „Er begleitet Mary Stuart nach London“. Auch Edmunds Name war darunter, jedoch durchgestrichen, vermutlich weil er nicht mehr am Leben war. Und an der Spitze der Liste stand ihr eigener Name und der von Grace, beide versehen mit einem Fragezeichen. Hatte der Earl etwa geglaubt, er könnte sie für seine Sache gewinnen? War das der Grund dafür gewesen, dass er sie in der vergangenen Nacht so leidenschaftlich geliebt hatte? Nein! Dieser Gedanke schmerzte so sehr, dass Seraphina das Papier in ihrer Hand zusammendrückte.
„Mylady?“ Ängstlich trat Bess auf ihre Herrin zu.
Doch diese scheuchte sie mit einer ungeduldigen Handbewegung hinweg. „Lass mich, Bess, bitte …“
Zögernd folgte Bess dieser Aufforderung. Seraphina wartete, bis sich die Tür hinter ihrer Dienerin geschlossen hatte, ging dann zum Schreibpult und ergriff eine Feder. Sie schrieb schnell, mit zitternden Händen, teilte Heywood mit, was Grace ihr gesagt hatte und dass nun ein Beweis in ihren Händen war, mit dem sie zur Königin gehen würde. Und sie wünschte, ihn niemals wiederzusehen. Bei dem letzten Wort brach die Spitze ab. Seraphina warf die Feder beiseite und nahm sich eine neue, um ihren Namen unter den Brief zu setzen. Dann streute sie Sand über das Geschriebene, faltete das Schreiben, schlug es in einen sauberen Bogen ein und begann, Wachs für das Siegel zu schmelzen. Doch als ihr Blick dabei auf das große Himmelbett fiel, in dem der Earl sie in der Nacht in seinen Armen gehalten … sie geliebt hatte, legte sie das warm gewordene Wachs unvermittelt wieder auf das Pult zurück. Der Kummer bereitete ihr körperliche Schmerzen. Wie konnte sie den Earl dem Tod eines Verräters ausliefern? Und was sollte dann aus Robert werden? Sie riss die Lasche des Umschlags wieder auf und versah den Brief mit einem Postskriptum.
„Ich werde bis morgen zum Sonnenaufgang warten, ehe ich zur Königin gehe. Damit habt Ihr einen Tag Vorsprung. Robert werde ich mit nach Mayfield nehmen. Sera.“
Seraphina pustete auf die feuchte Tinte und siegelte dann den Umschlag. Nachdem sie den Namen des Earls darauf geschrieben hatte, lehnte sie den Brief deutlich sichtbar auf den Kaminsims. Nach einem abschiednehmenden Blick über das Zimmer wandte sie sich zum Gehen. Sie würde Bess beauftragen, ein paar Sachen zusammenzupacken, um sicherzugehen, dass sie ihrem Gemahl nicht noch einmal begegnen würde. Schon hatte sie die Hand erhoben, um zur Klinke zu greifen, als heftig an die Tür geklopft wurde. Seraphina öffnete und sah einen Stallburschen im Korridor stehen, beschmutzt und atemlos.
„Lady Heywood?“
„Das bin ich“, erwiderte Seraphina. „Was gibt’s?“
„Der Lord … er kreuzte die Schusslinie eines Armbrustpfeils auf der Jagd …“
„Auf der Jagd?“ Seraphina starrte ihn verständnislos an, und ihr Herzschlag schien dabei auszusetzen. „Er wollte doch heute gar nicht auf die Jagd gehen … er ist nicht …“ Er ist nicht tot, wollte sie sagen, doch sie brachte das Wort nicht heraus.
„Noch nicht, aber es sieht schlimm aus, und er fragt nach Euch. Ihr solltet Euch beeilen“, sagte der Mann.
„Wo ist er denn?“, rief Seraphina verzweifelt und wusste in diesem Augenblick, dass sie in dem Brief an Heywood nicht die Wahrheit gesagt hatte. Sie musste ihn noch einmal wiedersehen, denn sie hatte ihm noch nie gesagt, dass sie ihn liebte, und aus irgendeinem Grund zählte das jetzt mehr als sein Verrat.
„Ich werde Euch hinführen“, erwiderte der Stallbursche mürrisch. „Habt Ihr ein Pferd?“
„Ja!“ Seraphina war ihm bereits vorausgeeilt, raffte ihre Röcke und lief den Korridor entlang auf die große Treppe zu. Und sie betete, wie sie noch nie in ihrem Leben gebetet hatte, dass der Earl nicht sterben würde, ehe sie bei ihm war. „Großer Gott, wo sind sie nur?“, fragte Seraphina etwa eine Stunde später, als der Bursche sie immer tiefer in den Wald hineinführte und die Pferde gezwungen waren, im Schritt zu gehen, wegen der niedrigen Äste und des dichten Unterholzes. „Du hast den Weg verfehlt …“
„Nein. Es ist gleich dort drüben. Er liegt in der Hütte des alten Wildpflegers. Das Beste ist, wenn Ihr jetzt absitzt …“
Doch Seraphina war bereits von Madrigals Rücken gesprungen und bahnte sich zu Fuß einen Weg durch das Dornengestrüpp zu der Lichtung, auf welcher die verfallene,
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