Historical Exclusiv Band 44
Goldketten und Pelzen, wirkten sie alle so grellbunt wie flatternde Turnierfahnen.
Alle, außer einem.
Er stand von ihr abgewandt, links vom Thron, gekleidet in eine schlichte dunkelblaue Tunika. Sein Gesicht konnte sie nicht genau erkennen, doch an seinem Profil konnte sie eines ablesen: Unnachgiebigkeit.
Einen Moment lang beneidete sie ihn um diese Stärke. Das tägliche Überleben dieses Mannes hing nicht davon ab, wie freundlich er zu den Leuten war.
Bei ihr war das der Fall. Genauso wie bei ihrer Mutter und ihrer Schwester.
Sie wandte den Blick ab und strich ihren samtenen Rock glatt. Sie musste dem König gefallen, sonst würde ab Ostern kein Brot mehr in ihrer Speisekammer liegen.
Als der Herold die Halle betrat, um sie anzukündigen, hörte sie, wie bei den Damen, die die Wände des Raumes säumten, die Röcke raschelten. Noch immer wurde geflüstert.
„Da kommt sie. Die Tochter der Dirne. Genauso schamlos wie ihre Mutter.“
Sie hob den Kopf. Der Zeitpunkt war gekommen.
Unter dem allgemeinen Geflüster trat Joan vor, zwanzig Jahre alt, illegitime Tochter des verstorbenen Königs und seiner berüchtigten Mätresse, um König Richard II. vorgestellt zu werden.
Wann immer es möglich war, mied Justin Lamont den Hof König Richards. Er hatte den überfüllten Thronsaal nur betreten, weil er eine wichtige Nachricht für den Duke of Gloucester hatte.
Letzten Monat hatte das Parlament den leichtsinnigen jungen König unter die Aufsicht eines Rates gestellt, dem Gloucester, der Onkel des Königs, vorsaß. Seither war Justin in die Regierungsgeschäfte verwickelt. Erst nach und nach erschloss sich ihm, welches Unheil der junge König und seine Vertrauten in der Staatskasse angerichtet hatten.
Nach dem Tod seines Großvaters war Richard unversehens schon als Junge auf den Thron gelangt. Zwar hatte er das gute Aussehen des alten Königs geerbt, nicht aber dessen Stärke und gesunden Menschenverstand. Statt die Steuergelder für den Kampf gegen die Franzosen einzusetzen, hatte er die königlichen Einnahmen für Geschenke an seine Günstlinge ausgegeben.
Als er nach mehr Steuergeldern verlangt hatte, hatte das Parlament endlich gehandelt und den Rat eingesetzt, um der Verschwendungssucht des Königs Einhalt zu gebieten.
Jetzt hatte der König eine weitere, endlos lange Liste mit Geschenken für seine Freunde vorgelegt, in der Annahme, dass der Rat vorbehaltlos zustimmen würde.
Doch das würde nicht geschehen.
„Euer Gnaden“, sagte Justin zu Gloucester, „der König hat eine neue Liste mit Gaben, die er am Weihnachtstag verteilen will. Der Rat kann dem unmöglich zustimmen.“
Der Duke indes war abgelenkt und deutete zur Tür. „Da kommt sie. Die Tochter der Dirne.“ Justin biss die Zähne zusammen. Er wollte sich nicht umdrehen. Die Einmischungen der Mutter hätten das Reich um ein Haar ruiniert, bis das Parlament sich eingeschaltet und den senilen König vor seinen eigenen Narrheiten bewahrt hatte. Der neue König brauchte nicht noch jemanden, der ihn in die Irre führte. Davon gab es unter seinen Günstlingen schon genug. „Wie heißt sie?“
„Lady Joan Weston“, erwiderte Gloucester. „Joan die Ältere.“
Sie als eine Weston zu bezeichnen, war eine nette Erfindung. Die damalige Mätresse hatte sich als Gemahlin Sir Williams ausgegeben, während sie die Kinder des Königs zur Welt brachte. „Die Ältere?“
Gloucester lachte spöttisch. „Es gibt zwei Töchter, und es ist wie bei den Hundewelpen. Es genügt, ‚Joan‘ zu rufen, und eine von beiden kommt gelaufen.“
Die grausamen Worte ließen Justin zusammenzucken, und er drehte sich widerstrebend um, ebenso wie der Rest des Hofes, um zu sehen, ob die Tochter noch Spuren der Sündhaftigkeit ihrer Mutter trug.
Er drehte sich um und konnte den Blick nicht mehr abwenden.
In der anmutigen Art, mit der sie sich bewegte, zeigte sich die Sinnlichkeit der Mutter, und ihr rabenschwarzes Haar erinnerte in nichts an das rotgoldene des Königs. „Sie sieht ihm gar nicht ähnlich“, murmelte er.
„Vielleicht hat die Dirne nur behauptet, die Kinder stammten vom König ab“, flüsterte Gloucester zurück.
Justin schüttelte den Kopf. „Ihre Haltung ist königlich.“
Mit hoch erhobenem Kopf hielt sie den Blick auf einen Punkt oberhalb der Königskrone gerichtet und schritt dahin, als würde die Menge sie bewundern und nicht verachten.
Aber nun sah sie sich einen winzigen Moment lang im Raum um, und der Blick ihrer veilchenblau
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