Historical Exclusiv Band 44
sein.“
„Nein.“
Sie stand auf, um ein Feuer zu schüren, das bereits munter brannte. „Welcher Tag also war es, an den Eure Mutter sich so deutlich erinnert?“
Er presste die Lippen aufeinander und blieb stumm.
„Ihr wollt es mir nicht sagen?“ Sie legte den Schürhaken hin und presste in übertriebenem Erstaunen eine Hand an die Brust. „Gibt es eine Wahrheit, die Justin Lamont nicht aussprechen will?“
Sie hatte erwartet, dass er lächelte, doch stattdessen schien seine Miene zu versteinern. Also verbarg auch Justin etwas. Er bestand darauf, dass sie alles über sich enthüllte, aber wovor hatte er Angst? Was sollte sie nicht wissen?
Justin stapfte im verschneiten Innenhof von Nottingham Castle herum und atmete tief die eisige Luft ein. Er hatte sich wie ein trotziges Kind benommen, unfähig, eine Lüge auszusprechen, und unfähig, die Wahrheit zu sagen. Es war egal, ob sein Geburtstag am Tag des heiligen Michael, des heiligen Lukas oder der heiligen Anna war. Er sollte es ihr nur einfach sagen.
Aber er fürchtete, wenn sie für ihn die Sterne deutete, könnte sie in seine Vergangenheit sehen. Dann wüsste sie, wie unwert er war.
Seine Mission, sie zur Wahrheit zu bringen, begann zu funktionieren. Allmählich, ganz allmählich enthüllte sie mehr von sich.
Der Himmel mochte ihn davor bewahren, dass sie dasselbe von ihm erwartete.
Nein, er musste sie ablenken. Solange sie sich ihm beweisen musste, behielt er die Kontrolle.
Er musste sie weiter ausfragen und doch dafür sorgen, dass sie ihm nicht näherkam. In ein paar Wochen würde die Fastenzeit vorbei sein, und dann konnte er dieses Verlöbnis auflösen.
Was würde der König dann mit ihr machen? Nun, das war nicht sein Problem. Trotz ihrer leidvollen Vergangenheit würde Solay alles überleben.
Wenn nur Blanche ebenso stark gewesen wäre.
15. KAPITEL
N achdem sie wegen des Sturms tagelang im Schloss gefangen gewesen war, lächelte Solay beim Anblick des klaren Himmels am Markttag in der Mitte der Woche. Nach der Hauptmahlzeit brachen König und Hofstaat auf, um den Fortschritt an der neuen St.-Mary’s-Kirche zu begutachten, und ließen das Schloss seltsam leer zurück.
Niemand bat sie mitzukommen.
Ruhelos legte sie Agnes’ Karte zur Seite, wanderte durch die Gänge und dachte dabei über Justins Widerstreben nach, ihr seinen Geburtstag zu nennen. Plante er mehr gegen den König, als sie ahnte?
Zu ihrer Überraschung fand sie ihn in der Großen Halle vor, wo er durchs Fenster auf den schmelzenden Schnee starrte. Sie war so konzentriert darauf gewesen, wie wenig man sie am Hofe willkommen hieß, dass sie vergessen hatte, dass auch er nicht gerade mit offenen Armen empfangen wurde. Der König hatte diese Reise unternommen, um sich mit seinen Günstlingen zu umgeben und weit weg zu sein von den gegen ihn arbeitenden Lords. In dieser Gesellschaft war Justin ein Außenseiter.
Das hatten sie beide gemeinsam.
„Ich bin seit Tagen in diesen Mauern eingesperrt gewesen und möchte etwas von der Stadt sehen“, sagte sie. „Wollt Ihr mich begleiten?“
Er lächelte etwas schief. „Da Ihr so offen wart, mir zu sagen, was Ihr wollt, kann ich kaum ablehnen.“
Als sie das Schloss verließen, fiel schmelzender Schnee von den Mauern, sodass es spritzte wie Regentropfen. Er legte eine Hand auf ihren Arm, um sie zu führen. Erschrocken erstarrte sie, zuckte aber nicht zurück. Dann ließ er seine warme, bloße Hand tiefer gleiten und umfasste ihre Finger.
Der Marktplatz summte vor Leben. Verkäufer von Holz, Wasser, Leder und Töpferwaren hofften, die Wünsche der Hundertschaft von Gästen im Schloss zu erfüllen.
„Wir werden bald weiterziehen müssen“, sagte Justin, als er sah, wie der überarbeitete Koch des Königs um Zwiebeln feilschte. Der Hof hatte Nottinghams Gastfreundschaft beinahe erschöpft – und auch seine Speisekammern.
„Haltet diesen Jungen fest!“, rief plötzlich jemand. „Er ist ein Dieb!“
Ein kleiner Junge mit einem Laib Brot lief auf sie zu, der Brotverkäufer folgte ihm auf den Fersen. Einige aus der Menge wollten ihn festhalten, aber es war Justin, der den Jungen am Hemd zu fassen bekam.
Der Kleine zappelte in seinen vom Schnee durchfeuchteten Lumpen und sah zu ihm auf. „Er nahm mein Geld, Sir, aber er wollte mir das Brot nicht geben.“
Solay berührte den Jungen an der Schulter und sah Justin flehend an. Es war leicht, die Machtlosen zu betrügen. Sie kannte die Verzweiflung eines leeren Magens.
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