Historical Exklusiv Band 06
Lagerräume, einen Brunnen und die Quartiere für den Kommandanten und die Garnison. Das wusste sie aus den Gesprächen der Bauleute im Schankraum. Was die Burg für Überraschungen enthielt, würde Rosalind vielleicht in dieser Nacht entdecken können. Und diese Erfahrungen sollten von Nutzen sein für die Schmuggler!
Sie machte einen großen Bogen um die auf dem Strand verstreuten Unterkünfte der Steinmetze und ihrer Helfer und lenkte das Pferd über eine steinerne Rampe zum äußeren Tor der Festung. Wie verabredet tauchte Nicholas Spencer in dem engen Torweg auf, um sie zu begrüßen.
"Ihr seid gekommen", sagte er, als habe er daran gezweifelt, und seine Stimme klang froh.
"Ich hoffe, niemand nimmt Anstoß daran, dass ich zu einer so späten Stunde eintreffe. Aber wie Ihr wisst, bin ich tagsüber zu sehr beschäftigt."
Nick schien nicht zu bemerken, wie fahrig sie das heruntergeplappert hatte. Er nahm die Zügel ihres Pferdes, und Rosalind sprang aus dem Sattel, noch ehe er ihr helfen konnte. Mit einem leichten Griff am Arm führte er sie ins Innere. Rosalinds Herz klopfte so laut, wie ihre Schritte auf der langen hölzernen Zugbrücke widerhallten, die beide Gräben überspannte. Die hochgezogenen Fallgitter sahen aus, als könnten sie jeden Augenblick herabstürzen.
"Dieser stets gut bewachte Eingang ist sehr sicher", erklärte Nick. "Es ist unmöglich, ihn unbemerkt zu passieren." Er zeigte ihr die Rinnen über dem Torhaus, von wo siedendes Öl auf Eindringlinge gegossen werden konnte, die vielleicht die Brücke trotz des Beschusses von der Brustwehr erreichen sollten.
Nachdem Nick die Stute angepflockt hatte, führte er Rosalind am Eingang zum gerade fertig gestellten Kerker der Burg. Bei dem Blick über die Stufen in diese grausige schwarze Höhle hatte Rosalind das Gefühl, als würden die Mauern sie erdrücken. Die Macht des Königs, den sie so verabscheute, und damit auch seines Abgesandten, legte sich wie eine unerträgliche Last auf ihre Seele.
Das Innere der Burg wurde von flackernden Pechfackeln in eisernen Haltern an den Wänden erleuchtet. Nick ergriff eine von ihnen, um den Weg zu erhellen. Mit jedem Schritt gewann Rosalind den Eindruck, dass die Festung Deal tatsächlich unüberwindlich war und niemand hoffen konnte, aus ihr zu entfliehen.
"Und wo sind die Leute, die nachts arbeiten?" Sie hatte außer den Wachen am Tor niemanden bemerkt.
"Die nächste Gruppe wird in etwa einer Stunde antreten."
Nick gewahrte ihr plötzliches Zögern und begann, unbefangen von all den spaßhaften Zwischenfällen zu erzählen, die durch die überstürzte Eile bei der Fertigstellung des Baues hervorgerufen wurden. Dennoch verhielt Rosalind auch weiterhin ihre Schritte, selbst wenn er sie mit sanftem Druck um Ecken oder über Stufen leitete, um sich die Burganlage genau einzuprägen. Als Lord Spencer vorschlug, auf einen der Türme zu steigen, stimmte sie zaghaft zu.
"Die Seeluft riecht wunderbar heute Abend", stellte er fest, als sie ins Freie traten. "Später werden wir uns dann mit einem Imbiss stärken. Delancey hat sich darum gekümmert."
"Oh, ich bin sicher, dass mir die Aussicht hier oben gut gefallen wird."
Ihr Gemüt war in Aufruhr. Wenn nun diese Nacht irgendetwas schief ging und die Schmuggler entdeckt wurden? Wenn er die Männer in diesen schrecklichen Kerker warf und man sie, Rosalind, der Mitschuld anklagte? Würde er auch eine Frau dort gefangen setzen? Und wenn er nun mehr berühren wollte als nur ihren Arm? Was war, wenn sie fliehen wollte und den Ausgang nicht mehr fand? Hier oben auf dem Turm hinter dicken Mauern fühlte sie sich sicherer, nicht so eingeschlossen mit Nicholas Spencer. Ihre Kapuze flog vom Kopf, die Haare flatterten in der steifen Brise. Sie lehnte dicht neben Nick an der Brüstung und ließ den Blick suchend über die gischtgekrönte See wandern.
"Die Festung erinnert mich an ein großes steinernes Schlachtschiff, das gerade in See stechen will", sagte Rosalind.
"In der Tat", pflichtete Nick bei. "Ein passender Vergleich."
Gespannt lauschte Rosalind, als der Lord Lieutenant ihr erklärte, wie man Angreifer von See vertreiben oder unschädlich machen würde. Wie schwach sie sich zu fühlen begann, als seine Stimme diesen festen, entschlossenen, beinahe leidenschaftlichen Klang annahm. Dieser Mann raubte ihr fast die Sinne; sie musste sich besser im Griff haben! Als sie dann hinunter zum Strand schaute in die Richtung, wo die Schmuggler sich treffen wollten,
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