Historical Exklusiv Band 06
Ihr versteht", fügte sie hastig hinzu und schlüpfte ins Haus.
Nicholas warf den Kopf in den Nacken und sog tief die frische Luft ein. Ein Triumphgefühl durchströmte ihn. Sie war so verändert, genau so, wie er sie sich gewünscht hatte. Bei dem Gedanken, dass sie noch seinen Umhang getragen hatte, als sie ins Haus ging, musste er lächeln. Nachdem ein paar Augenblicke verstrichen waren, betrat auch er das Gasthaus.
In dem verräucherten Schankraum war es warm. Das Stimmengewirr erstarb sofort, als Nick eintrat. Die Männer, von denen er viele wiedererkannte, hockten über ihrem Abendtrank, über den Karten und bei lebhafter Unterhaltung beisammen. Dann entdeckte er Rosalind. Sie hatte den Mantel abgelegt und stellte zwei gefüllte Bierkrüge auf einen Tisch an der gegenüberliegenden Wand. Merkte sie nicht, dass aller Augen auf ihn gerichtet waren? Schnell durchquerte er den Raum und setzte sich neben sie auf die Bank. Vorsichtig tippte Rosalind ihn mit dem Ellbogen an, nickte und lächelte den Gästen zu. Da nickte und lächelte Nick ebenfalls. Sofort begannen Gelächter und Unterhaltung wieder. Nicholas nahm einen tiefen Schluck aus dem Krug. Zum ersten Mal fühlte er sich beinahe wohl hier. Wie leicht doch sein Sieg gewesen war! Die Frau, die er sich zähmen wollte, hatte so gut wie kapituliert.
Rosalinds Hände bebten, als sie die Kordel ihres rotbraunen Umhangs über dem tiefblauen wollenen Gewand zusammenzog. Nun, da Nick in ihren Besuch auf der Festung eingewilligt hatte, war es nicht notwendig gewesen, sich wieder so fein herauszuputzen wie am gestrigen Abend. Alf war ihr beim Aufsteigen in den Sattel behilflich und flüsterte: "Niemand, nicht einmal er, ist dir gewachsen. Wenn du unterhalb der Festung das Bellen eines Hundes hörst, ist die Küste leer. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen."
"Ich doch nicht!" Rosalind ging diese Lüge ebenso leicht über die Lippen wie gestern gegenüber Wat. "Ich will einfach nur einmal die Burg besichtigen. Vielleicht ist es für uns auch eines Tages nützlich zu wissen, wie man am besten wieder herauskommt."
"Bestimmt. Möglicherweise können wir sogar unsere nächste Ladung in des Königs eigenem Hungerturm verstecken!" Beide lachten nervös und unsicher. "Alsdann, Glück auf die Reise, liebe Base!"
"Und auch für unsere Männer! Es fällt mir schwer, nicht dabei sein zu können."
Rosalind beobachtete, wie Alf in dem Dickicht des Talgrundes verschwand, und setzte dann ihr Pferd in Bewegung. Langsam suchte sich die dunkelbraune Stute, die Rosalind Chestnut – Kastanie – getauft hatte, ihren Weg durch die Senke. Am Strand angekommen, nahm Rosalind die Zügel fester, und sorgfältig umging das Pferd die Leinen, mit denen die Boote vertäut waren. Es war wunderbar, die ganze ausgedehnte Küste für sich zu haben. Menschen waren in der Nacht hier nicht zu finden, nur die Schmuggler, aber die würden erst nach ihr an den Strand kommen, um eine neue Sendung Wein, Cognac und andere Luxusgüter von den französischen Booten in Empfang zu nehmen. Rosalind genoss das Gefühl von Freiheit, so als segelte sie auf dem offenen Meer. Die Art, wie sie ihre temperamentvolle Stute im Griff hatte, gab ihr Zuversicht, den hochfahrenden Nicholas Spencer ebenso sicher zu beherrschen.
Als das letzte Boot hinter ihr lag, zügelte sie ihr Pferd. Da der Lord Lieutenant jetzt in der Festung wohnte, musste man auf alles besonders achten. Nichts durfte die Besatzung der Burg misstrauisch machen, wenn die Fangboote des Nachts auf See waren.
Unmittelbar am Ende des Strandes erhob sich auf einer kleinen Anhöhe der gewaltige Bau der Veste. Das fahlgraue Mauerwerk erschien geisterhaft im Dunkel der Nacht. Die Steine stammten zum Teil von einer nahe gelegenen Abtei, aus der die Mönche vertrieben worden waren. Dieser schreckliche König, dachte Rosalind erschaudernd, hat mit seiner Abkehr vom wahren Glauben so viel vernichtet. Was galt ihm schon eine hübsche Abtei in Kent, als er mit dem Papst brach und sich selbst zum Oberhaupt der Kirche von England proklamierte, um sich von seiner Frau scheiden zu lassen und Anne Boleyn heiraten zu können. Er hatte damit zwischen sich und alle Königshäuser in Europa einen Keil getrieben.
Rosalind hielt ihr Pferd an und betrachtete den schwer auf der Landschaft lastenden Klotz. In zwei Ringen umschloss die Brustwehr die Veste Deal. Dazwischen lagen tiefe Gräben. Die dicken Mauern formten ein regelmäßiges Sechseck und umgaben
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