Historical Exklusiv Band 42
übersehen hatten?
Mit wehenden Röcken rauschte seine Tante in den Raum. „Entschuldigen Sie, dass ich Sie warten ließ! Guten Morgen, Miss Grey. Ich hoffe, Sie sind nicht nass geworden – ein furchtbares Wetter heute Morgen, nicht wahr?“
„Das stimmt, Mylady“, pflichtete Talitha ihr bei. Sie stand auf und knickste. Nick merkte, wie sie sich das Handgelenk rieb, an dem er sie festgehalten hatte. Hatte er ihr wehgetan? Sie hatte nichts gesagt.
„Setzen Sie sich bitte wieder.“ Lady Parry ließ sich auf dem Stuhl neben Talitha nieder und nahm die Männer in Augenschein. „Sie haben sich bereits bekannt gemacht? Sehr gut. Also, Mr Dover, dann erklären Sie doch bitte Miss Grey die Sachlage. Zweifellos fragt sie sich schon, worum um alles in der Welt es geht und warum sie gebeten wurde, heute Morgen hier zu erscheinen.“
Mr Dover legte den Kopf schief, schob sich die Brille zurecht, räusperte sich und strich das vor ihm liegende Dokument mit der Hand glatt. Nick, für den es hier nichts Neues zu erfahren gab, beobachtete Talitha mit halb geschlossenen Augen. Ihre erste Reaktion würde sehr aufschlussreich sein.
„Miss Grey, wie ich Ihnen bereits sagte, war ich Miss Gowers Anwalt. Zusammen mit Lord Arndale habe ich die Pflicht, ihren letzten Willen zu vollstrecken.“ Er machte eine Pause und blickte Talitha wohlwollend an. „Ich darf Ihnen sagen, dass Sie in ihrem Testament bedacht worden sind.“
„Wie außerordentlich freundlich von Miss Gower!“ Zu Nicks Überraschung füllten sich ihre Augen mit Tränen. Warum war er davon ausgegangen, dass sie so gefasst war, dass sie ihre Gefühle nicht zeigen würde? Hastig zog sie ein Taschentuch aus ihrer Stofftasche. „Verzeihen Sie bitte.“ Sie tupfte sich die Tränen aus den Augen, setzte zum Sprechen an, versagte kläglich, versuchte es erneut und brachte schließlich unter offensichtlicher Anstrengung hervor: „Ich werde jedwedes Andenken, das sie mir vermacht hat, in Ehren halten. Ich habe sie sehr gut leiden können.“
Nick lachte leise in sich hinein. Falls sie dachte, sie hätte ein hübsches Schmuckstück oder ein, zwei Bücher geerbt, würde Miss Grey sich gleich wundern. Sie warf ihm einen zornigen Blick zu, und er zuckte zusammen. Sie würde nicht vorgeben, als berühre sie die Aufmerksamkeit der alten Dame nicht – selbst wenn seine Lordschaft die Dankbarkeit einer kleinen Hutmacherin für ein unbedeutendes Kleinod amüsant fand. Ihre Miene sagte das so deutlich, als hätte sie laut gesprochen. Schweigend nahm er die Zurückweisung hin. Was für ausdrucksvolle Augen sie hatte …
„Es handelt sich um ein wenig mehr als ein Andenken, Miss Grey“, fuhr der Anwalt fort und lächelte sie an. „Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie die Summe von fünfzigtausend Pfund erben sollen.“
„Aber … aber das ist …“
„Einige tausend Pfund im Jahr, wenn man sie umsichtig investiert. Meinen allerherzlichsten Glückwunsch.“
„Ich wollte sagen ‚unmöglich‘“, stammelte Talitha. „Das muss ein Irrtum sein, oder? Lady Parry?“
Solcherart angefleht, schüttelte Lady Parry den Kopf und lächelte ob Talithas Verwirrung. „Irrtum ausgeschlossen, meine Liebe. Miss Gower kennt Ihre Herkunft so gut wie ich. Sie müssen uns verzeihen, dass wir in der Vergangenheit einer so ungewöhnlichen jungen Hutmacherin herumgeschnüffelt haben. Auch müssen Sie uns dieses kleine Komplott verzeihen, mit dem wir Sie wieder in den Stand versetzen, in den Sie geboren und für den Sie erzogen wurden. Miss Gower hatte eine solche Freude daran, sich auszumalen, was für eine Veränderung dies für Sie bedeuten wird.“
Ratlos blickte Talitha von einem Gesicht zum anderen. Schließlich blieb ihr Blick an dem Anwalt hängen. „Aber, Mr Dover, ist das legal? Ich bin keine Verwandte von Miss Gower – es gibt doch sicherlich jemanden, der mehr Rechte hat, ihr Vermögen für sich zu beanspruchen?“
„Sie hatte absolut keine Verwandtschaft, im Gegenteil, sie musste mich sogar von meiner Tante ausborgen, damit ich als ihr Neffe und Testamentsvollstrecker fungiere“, erklärte Nick, nachdem er zu der Entscheidung gelangt war, dass sie wahrhaftig so fassungslos war, wie sie zu sein vorgab. Es gefiel ihm, dass sie so wenig Freude über die Erbschaft zeigte. Hier hatten sie es nicht mit einer gierigen kleinen Person zu tun. „Sie bringen also niemanden um seinen Anteil.“
„Aber ihre Dienstboten, ihre Freunde …“
„Die
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