Historical Exklusiv Band 42
selbst pünktliches und sicheres Ankommen ließ sie sich um keinen Deut besser fühlen.
In seiner üblichen, würdevollen Haltung begrüßte Rainbird sie, obgleich ein Funkeln in seinen Augen auf eine gewisse Gemütsregung hindeutete, als er die einfach gekleidete Besucherin erkannte. „Guten Morgen, Miss Grey. Ihre Ladyschaft bat mich, Sie in die Bibliothek zu geleiten.“
Talitha folgte ihm durch den Flur zu einer Tür, durch die sie bei ihren früheren Besuchen nie getreten war, und zuckte zusammen, als Rainbird diese öffnete und sie mit einigem Enthusiasmus ankündigte. „Miss Grey.“ Diese Vorzugsbehandlung war sie nicht gewohnt, und sobald sie den Raum betrat, blickte sie sich aufmerksam um.
Die erste Person, die sie bemerkte, war Lord Arndale, der an einem schweren, in den Erker eingefügten Schreibtisch stand. Vorgebeugt studierte er offensichtlich ein Dokument, das vor der einzigen anderen Person im Raum ausgebreitet lag. Bei Rainbirds Worten blickte er auf. Talithas Herz setzte bei seinem Anblick einen Schlag aus, und verwirrt sah sie zu dem anderen Mann hinüber, der ihr vollkommen fremd war.
Die beiden Männer hätten unterschiedlicher nicht sein können. Nicholas Stangate ragte über seinem sitzenden Kollegen auf, breite Schultern füllten seinen Reitmantel, alles an ihm strahlte Vitalität und geballte Energie aus. Der andere Mann war mehr als doppelt so alt, das Haar schütter und grau über einem hageren Gesicht von ungesunder Farbe. Seine Augen blickten jedoch wach und intelligent, und sie musste an sich halten, nicht unwillkürlich einen Schritt zurückzuweichen, als sein Blick sie fixierte.
Von Lady Parry war keine Spur zu sehen. In den wenigen Augenblicken, in denen beide Männer sie musterten, spürte Talitha, wie ihr Gesicht jegliche Farbe verlor. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie plötzlich das Gefühl hatte, vor Gericht zu stehen, es sei denn, ihre Schuldgefühle wegen ihres skandalösen Geheimnisses verrieten sich gerade.
Als Mr Dover aufstand, stellte auch Nicholas Stangate sich aufrecht hin und betrachtete die junge Frau, die in den Raum gebeten worden war. Dasselbe abgetragene braune Ausgehkleid und denselben Gehpelz wie beim letzten Mal, dieselbe eigentümlich elegante Haube. Dieses Mal sah sie jedoch aus, als hätte sie schlecht geschlafen. Mr Dover begann zu sprechen, und er ließ das Spekulieren sein.
„Miss Grey, guten Morgen. Wir sind uns noch nicht begegnet. Ich bin James Dover, Miss Gowers Anwalt. Sie kennen Lord Arndale, glaube ich, ihren Testamentsvollstrecker?“
Was, zum Teufel, war an dieser Ankündigung so erschreckend, dass sie so bleich wurde? Nick trat vor und nahm ihre Hand. „Miss Grey, Sie sind ganz blass geworden. Geht es Ihnen nicht gut? Bitte, setzen Sie sich her.“
Widerstandslos ließ sie sich von ihm sanft auf einen Stuhl drücken. „Es tut mir leid, Mylord, ich benehme mich dumm. Es ist nur, einem Anwalt zu begegnen, erinnert mich an die letzten Male, an denen ich Menschen mit Mr Dovers Berufsstand begegnet bin. Sie müssen mir verzeihen, Sir“, fügte sie an den älteren Mann gewandt hinzu. „Ich will nicht respektlos erscheinen, Mr Dover. Die Situation, nachdem mein Vater und dann meine Mutter gestorben waren, war … schwierig.“
Nick bemerkte, dass er noch immer ihre Hand in der seinen hielt. Ihr Handgelenk war kalt. Sie hob den Kopf und sah ihn an. Ihr Blick war offen, die grünen Augen blickten intelligent. Ihm wurde bewusst, dass sie, obgleich sie aufs Tiefste verwirrt sein musste, keine Fragen gestellt hatte. Ihre Zurückhaltung erschien ihm erfrischend, und gleichzeitig irritierte sie ihn. „Es tut mir leid, dass wir Ihnen einen solchen Schrecken eingejagt haben, Miss Grey. Ihr Puls rast ja!“ Sie senkte den Blick, und aus einem Impuls heraus fügte er hinzu: „Fast würde man meinen, Sie hätten ein furchtbares Geheimnis zu verbergen.“
Einen Moment lang blieb es still. Dann warf sie den Kopf hoch, blickte ihm ins Gesicht, und zu seiner Überraschung sah Nick, wie eine feine Röte ihr vom Hals bis in die Wangen stieg. Ohne es zu wollen, hatte er einen wunden Punkt getroffen. Seine Neugier war geweckt. Unbewusst verstärkte er den Griff um ihr Handgelenk, doch sie entwand sich ihm. Nachdenklich blickte Nick auf ihren nun wieder gesenkten Kopf hinab. Er hatte gedacht, er hätte alles herausgefunden, was es über Miss Talitha Grey zu wissen gab. Waren seine Ermittler so unaufmerksam gewesen, dass sie einen Skandal
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