Historical Exklusiv Band 42
hauchzartesten Art.
Mit – wie Nick es schien – bewundernswerter Schnelligkeit stopfte sie die Wäsche unter ein Kissen und stand auf, wobei sie Nadel und Faden auf den Tisch neben sich legte. „Verzeihung, Sir“, erklärte sie, wobei sich eine leichte Röte auf ihre Wangen stahl. „Annie hat noch nicht gelernt, wie man sich als Empfangsdame zu verhalten hat. Leider vergisst sie manchmal, Besucher vorher anzukündigen.“
„Nicholas Stangate. Ich komme für Miss Grey. Und Sie sind, wie ich vermute, Miss Amelie LeNoir? Verzeihen Sie bitte die Störung.“ Es war nicht unangenehm, Miss LeNoir zu stören, überlegte er, als er die ungekünstelte Freude in ihren Augen sah, dass er wusste, wer sie war. Sie hatte eine liebliche Gestalt mit sanften Rundungen, verborgen in einem überraschend bescheidenen Alltagskleid. Ihr Mund war leicht geöffnet. Überhaupt nicht unangenehm.
„Oh, woher wissen Sie das? Mylord“, fügte sie hastig hinzu und knickste.
„Sie sind mir beschrieben worden“, erklärte Nick einfach und ergötzte sich an der tiefen Röte, den niedergeschlagenen langen Wimpern. Für einen Mann, der stets dunkelhaarige Frauen bevorzugt hatte, schien es in seinem Leben plötzlich von Blondinen zu wimmeln. Ein angenehmer Wechsel.
„Ich … ich sollte besser mal nachsehen, ob ich Tal… Miss Grey finde, Mylord. Auf Annie kann man sich einfach nicht verlassen. Wollen Sie sich nicht setzen?“ Sie zeigte auf das Sofa, erinnerte sich an ihre Stopfsachen, fegte sie hastig unter dem Kissen hervor und in ihre Arme und eilte damit hinaus.
Nick grinste. Diese bezaubernde, erfrischende junge Dame, die gerade hinausgeflattert war, war entweder eine außergewöhnlich gute Schauspielerin oder das genaue Gegenteil – eine züchtige Opernsängerin, genau, wie Talitha Grey es gesagt hatte. Statt sich auf den angebotenen Platz zu setzen, unterzog er das Zimmer einer näheren Betrachtung. Es war eine für einen Mann seltene Gelegenheit, einen unbeobachteten Blick in die Welt der Frauen zu werfen, in ihren Alltag.
Ein ordentlicher Stapel Rechnungsbücher lag neben einem Spieß mit Quittungen und Rechnungen. Ein Korb voller Zierbänder, Hutbänder und künstlicher Blumen stand neben einem Nähkästchen und einem großen, mit Stecknadeln gespickten Nadelkissen. Ein Stapel Bücher und ein paar Modezeitschriften befanden sich auf einem Regal, ein Schachbrett mit aufgestellten Figuren daneben. Er nahm einen Bauern und machte einen Eröffnungszug, dann sah er sich weiter um. Ein mit roter Tinte befleckter Federhalter lag neben einem offenen Übungsheft.
Er unterbrach seinen Rundgang und blätterte eine Seite des Lexikons auf, das neben dem Übungsheft lag. Griechisch! Die Tür hinter ihm öffnete sich, ließ jedoch nicht Miss Grey ein, sondern ihre Freundin, die Gouvernante. „Miss Scott, guten Tag. Sie haben mich beim Lesen Ihres, wie ich vermute, griechischen Lexikons ertappt.“
„Ja, Mylord.“ Sie stand da und betrachtete ihn unter geraden, dunklen Brauen hervor. Er erwartete Ablehnung, stattdessen stellte er fest, dass er ihren Blick nicht zu deuten vermochte. „Ich unterrichte sowohl Latein als auch Griechisch, außerdem natürlich die modernen Sprachen.“
„Ich habe gar nicht gewusst, dass Sie Jungen unterrichten“, bemerkte er, eher, um die Unterhaltung in Gang zu halten, als um sie zu provozieren. Überrascht bemerkte er das Aufflackern von Ärger in ihrem Blick.
„Das tue ich nicht. Zurzeit unterrichte ich nur Mädchen. Vielleicht denken Eure Lordschaft, dass das weibliche Gehirn nicht die Kapazität für alte Sprachen hat?“
„Darüber habe ich noch nie nachgedacht“, gab er zu. „Obgleich ich nicht sehen kann, welchen Nutzen eine Frau aus diesem Wissen ziehen könnte.“
„Außer geistiger Disziplin und einem verbesserten Verständnis moderner Sprachen sowie der Geschichte der modernen Kunst?“, fragte sie frostig.
„Schön und gut, aber wenn ein Mädchen heiraten soll …“
„Das gilt nicht für jede von uns“, informierte ihn Miss Scott. „Ich sehe keinen Grund, warum eine unverheiratete Frau ihren geistigen Horizont aus diesem Grund beschränken sollte. Auch nicht, warum eine verheiratete Frau nicht gebildet sein darf.“ Ihr Ausdruck wurde eine Nuance weicher. „Ohne Zweifel glauben Sie, dass eine verheiratete Frau ihre Intelligenz zu nicht mehr nutzt, als den Haushalt zu führen, nicht wahr? Nicht, dass die Haushaltsführung so leicht wäre, wie die meisten Männer
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