Historical Exklusiv Band 42
schön, einen freien Tag zu haben und die Möglichkeit, sich zu kaufen, was man möchte, aber ich bin froh, dass wir ein Geschäft haben, um das wir uns kümmern müssen, Zenna. Bei dem Gedanken an das Leben der gehobenen Kreise fühle ich mich gar nicht wohl. Nach dem, was ich gesehen habe, besteht es nur aus Luxus und Vergnügen. Ich würde mich über kurz oder lang furchtbar langweilen, wenn ich nichts hätte, worüber ich mir den Kopf zerbrechen kann.“
In die Gedanken an ihre neuen Kleider und Schuhe, Fächer und Federn schlich sich ungebeten das Bild eines hochgewachsenen, dunkelhaarigen, eleganten Gentlemans. Wie verbringt wohl ein Lord Arndale seine Tage, fragte sie sich. In Gesellschaft von Schauspielerinnen und Opernsängerinnen? Am Kartentisch? Bei Hahnenkämpfen und Ringkämpfen? Sie versuchte sich vorzustellen, wie die kühle, spöttische Miene dem Ausdruck von Leidenschaft, Erregung und Erwartung wich – vergebens. Seine Lordschaft war zweifellos ein Musterbeispiel für die gleichgültigen und reservierten Mitglieder der Gesellschaft, in deren Lebensweise sie hineinschnuppern würde. Es wäre amüsant, diese wie gemeißelt wirkenden Gesichtszüge aus der Fassung geraten zu sehen – oder ein Gefühl hervorzurufen, das weder beherrscht noch moderat war. Ein feines Lächeln stahl sich auf Talithas Gesicht. Sehr amüsant.
Zwei Tage später erklomm der infrage stehende Gentleman die Stufen des Hauses in der Upper Wimpole Street und sah sich unerwarteterweise beinahe dem gesamten Haushalt gegenüber.
Nick hatte einen anstrengenden Morgen mit seinem Verwalter verbracht, der mit einer ansehnlichen Liste an Problemen und Fragen, die gelöst werden mussten, von seinem Landsitz hergekommen war. Insgeheim hatte er die Befürchtung, bei Mr Dover am Nachmittag eine ähnlich lange Liste durchsehen zu müssen, bevor die Arbeit an Miss Gowers Testament zum Abschluss kommen konnte. Allerdings hatte er sich fest vorgenommen, den jungen William am Abend sich selbst zu überlassen – wie zweifelhaft dessen Pläne auch klingen mochten – und sich im kleinen Kreis einiger Freunde bei Dinner, Karten und einigen Flaschen gutem Brandy zu entspannen.
Er war jedoch von seiner Tante abgefangen worden, die ihn bat, bei Miss Grey vorbeizuschauen. „Sei so nett, mein lieber Nicholas, und sage ihr, dass ich sie Mittwochmorgen um zehn mit meiner Kutsche abhole. Und wenn du herausfinden könntest, wie viele Koffer sie hat, kann Rainbird deren Transport organisieren.“ Sie hatte sich auf Zehenspitzen gestellt, um ihm die Wange zu küssen. „Vielen Dank, mein Lieber.“ Bevor er fragen konnte, warum eine Nachricht nicht denselben Zweck erfüllen konnte, war sie bereits wieder fort.
Jetzt, wo er schon einmal dort war, konnte er auch gleich die Gelegenheit ergreifen, Miss Grey wieder etwas versöhnlicher zu stimmen, nachdem sie bei ihrer letzten Begegnung so aufgebracht entschwunden war. Er glaubte selbst nicht recht, dass sie romantische Gefühle für den jungen William Parry hegte, war indes überzeugt, dass es besser war, ihr diese Überlegungen vorzuenthalten. Denn falls sie zu den Frauen gehörte, die sich durch Widerstand herausgefordert fühlen, würde sie vielleicht aus einer Laune heraus doch versuchen, das Interesse des Jungen zu wecken. Und William war noch zu jung, um sich von einer älteren Frau das Herz brechen zu lassen, entschied Nick. Bequemerweise vergaß er dabei seine eigene Einführung in die Kunst der Liebe im zarten Alter von siebzehn Jahren von einer wunderschönen, weltgewandten Frau, die zehn Jahre älter gewesen war als er.
Ein äußerst klein gewachsenes Mädchen mit Stupsnase, Sommersprossen und einer zu großen Schürze öffnete die Haustür und setzte eine bestürzte Miene auf. „Oh, Sir! Miss Grey? Oh, ja, Sir, ich sage ihr, dass Sie da sind, wenn Sie bitte so lange im Wohnzimmer warten möchten, Sir.“
Schwungvoll zog sie die Tür zum Wohnzimmer auf, um ihn einzulassen, schien sich dann zu erinnern, dass sie nach seinem Namen hätte fragen müssen, quiekte kurz ängstlich auf und schloss die Tür hinter ihm. Nick fand sich in einem gemütlichen, leicht verwohnten Zimmer wieder, dem der unbestimmbare Hauch von Behaglichkeit und Weiblichkeit anhaftete. Letzterer Eindruck wurde verstärkt durch das bezaubernd hübsche Mädchen mit den großen blauen Augen und der Flut blonder Locken, das auf dem Sofa saß. In einem Haufen neben ihr lag Unterwäsche der frivolsten, intimsten und
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