historical gold 036 - Der Flug des Falken.doc
eindringlich. „Sei versichert, ich werde Meriel nicht ge gen ihren Willen zwingen, mit mir zu kommen."
„Sie ist nicht bei mir", erwiderte Alan de Vere, und sein Erstaunen wandelte sich in Besorgnis. „Was ist vorgefallen?"
„Wenn du alles gehört hast, wirst du mich gewiss mit Verachtung strafen", sagte Adrian of Warfield bedrückt und nahm in einem ledernen Faltsessel Platz. „Bei deinem Be such in Warfield Castle am Tage meiner Vermählung mit Meriel hat es dich sehr erschüttert zu sehen, dass deine Schwester das Gedächtnis verloren hatte. Gewiss wird es dich nun freuen zu hören, dass sie es gestern bei einem Ausflug wiedergefunden hat und sich an alles erinnert, was vor ihrem Unfall geschah, an das, was seither gewesen ist, jedoch nicht. Auch nicht, dass sie mit mir verheiratet ist. Da ihr die Vorstellung, meine Gemahlin zu sein, zuwider war, ist sie auf und davon geritten. Ich war überzeugt, sie sei hier. Weißt du, wohin sie sich sonst gewandt haben könnte?"
„Bei allen Heiligen!" murmelte Alan entsetzt und sank auf einen Schemel. Er spürte, wie ihm das Blut aus den Wangen wich, und schaute den Schwager fassungslos an.
„Was hat diese Erinnerungslücken bei Meriel überhaupt ausgelöst?" fragte er nach längerem Schweigen. „Damals wolltest du mir die Umstände ihres Unfalles nicht erklären."
„Ich hatte um ihre Hand angeha lten", antwortete Adrian tonlos. „Sie drehte sich um und sprang aus dem Fenster meines Studierzimmers."
„Parbleu!" kam es Alan erschrocken über die Lippen. „Wie war es möglich, dass sie den Sturz überstand?" Da die Veste hoch über dem Fluss lag, hätte Meriel sich das Genick brechen oder im Severn ertrinken müssen.
„Ich bin ihr nachgesprungen und habe sie aus dem Wasser gezogen."
„Bei allen Heiligen!" sagte Alan, wider Willen beeindruckt, und fügte scharf hinzu: „Sie ist also genesen, ohne das Gedächtnis wiederzuerlangen, und dann von dir zur Ehe gezwungen worden!"
„Das war nicht nötig", widersprach Adrian fest. „Oder hattest du den Eindruck, dass sie am Tage der Hochzeit unglücklich wirkte?"
Die beiden Männer sahen sich an. Sie liebten Meriel, jeder auf seine Weise, waren aber dennoch nicht zu Freunden geworden.
„Was gedenkst du, nun zu unternehmen?" fragte Alan de Vere frostig.
„Ich möchte einen meiner Knappen hierlassen, der mich benachrichtigt, falls meine Gattin eintrifft, und selbst die Suche nach ihr fortsetzen. Sollte ich sie finden, werde ich sie, wie ich noch einmal betonen möchte, nicht zwingen, in Warfield Castle zu bleiben. Sollte es ihr Wunsch sein, nach Avonleigh zu gehen, schicke ich sie mit einer Eskorte her."
„So weit kommt es gar nicht erst", sagte Alan grimmig. „Ich werde mich dir anschließen und an der Suche beteiligen. Ein weiteres Mal wirst du nicht die Möglichkeit haben, meine Schwester zu irgend etwas zu nötigen."
„Wie es dir beliebt", willigte der Earl of Shropshire ein, erhob sich und verließ das Haus.
In aller Eile ließ Alan de Vere sein Pferd satteln und machte sich mit dem Gefolge des Schwagers auf den Weg. Bei der Ankunft in Warfield Castle, spät in der Nacht, gab es jedoch noch immer keine Kunde von Meriels Verbleib.
Vor Freude, dass ihm solch wertvolle Geiseln in die Hände gefallen waren, ordnete Guy de Burgoigne nicht einmal an, die Soldknechte des Juden zu ermorden. Entwaffnet und hilflos ließ er sie im Forst zurück und machte sich nach Wenlock Castle auf.
Die Lenker der Ochsengespanne mussten die Tiere zur Eile antreiben; trotzdem dauerte es bis weit in die Nacht, ehe der Tross in der Veste eintraf. Wie Warfield, lag sie hoch auf einer Felsenkuppe, war jedoch längst nicht so wehrhaft und mächtig. Im Laufe mehrerer Generationen erweitert und verstärkt, war sie eine Trutzburg großen Ausmaßes, und Meriel ritt mit dem gleichen unguten Gefühl durch das Haupttor wie damals in Warfield. Sie tröstete sich indes mit dem Gedanken, dass ihr, nachdem sie dem Bollwerk des einen Earl of Shropshire entronnen war, gewiss auch die Flucht aus der Bastion des anderen gelingen würde.
Die Gefangenen wurden im Keep eine schmale Stiege hinuntergeführt und zu einem muffig riechenden Verlies gebracht. Ein Soldat öffnete das Vorhängeschloss der eisenbeschlagenen Tür und machte eine spöttisch auffordernde Geste.
Im Schein der Fackeln erkannte Meriel ein felsiges Gelass und wollte mit den l'Eveskes hineingehen, wurde aber von Vincent de Gembloux unsanft zurückgezogen.
„Nicht dort!"
Weitere Kostenlose Bücher