historical gold 036 - Der Flug des Falken.doc
besudelte Ehre reinzuwaschen.
Ein Mann, einem Erzengel gleich, hielt sie umfangen, und herrliche, erregende Dinge geschahen mit ihr. „Ich liebe dich!" schrie sie auf, und der Hall der Worte riss sie aus dem Schlaf.
Benommen versuchte Meriel, sich in der Finsternis zurechtzufinden. Im ersten Moment begriff sie nicht, wo sie war und was sich ereignet hatte. Die Hand stieß gegen eine kalte Wand, und dann spürte sie Stroh unter den Fingern.
Jäh fiel ihr ein, dass sie sich im Kerker befand, und der Traum nur holder Wahn war.
Zitternd berührte sie die Brüste und merkte, dass die Spitzen straff und empfindsam waren.
Ein köstliches Prickeln rann ihr über die Haut, und ein wundersames Gefühl der Wärme durchströmte ihr Inneres. Entsetzt zog sie die Decke höher und wurde sich bewusst, dass Adrian de Lancey der Mittelpunkt ihrer Sehnsüchte war.
Aber sie hatte ihn nicht als den gnadenlosen, unberechenbaren Mann erlebt. So sehr es ihr auch widerstrebte, sie musste sich die bittere Wahrheit eingestehen, dass sie seine Zärtlichkeit und Liebe rückhaltlos erwidert hatte, voller Minneglut und Lust. Ihr war, als sei ihr etwas genommen worden, ein kostbares, einzigartiges Gut, und diese Erkenntnis erschütterte sie zutiefst.
Alles war doch nur Einbildung, denn in Wirklichkeit hätte sie sich dem Earl of Shropshire niemals hingegeben. Er war ebenso verrucht wie sein Widersacher, vielleicht sogar noch mehr, denn hinter seiner Maske des schönen Scheins verbarg sich die gleiche Herzlosigkeit.
Matt Schloss Meriel die Lider und ließ den Kopf zur Seite sinken. Das grobe Wolltuch an die Lippen pressend, erstickte sie ein Aufschluchzen. Die Augen wurden ihr feucht, und verzweifelt trachtete sie, den Zwiespalt der Gefühle zu verdrängen.
Unruhig schritt Alan de Vere im Studierzimmer des Earl of Shropshire hin und her und sagte ungehalten: „Das genügt mir nicht!"
Adrian de Lancey lehnte sich zurück, sah den Schwager ernst an und erwiderte verständnisvoll: „Ich begreife, dass du ungeduldig bist. Mir ergeht es nicht anders. Aber ich finde es sinnvoller, auf die Nachrichten zu warten, die meine Kundschafter bringen. Wenn du der Ansicht bist, du selbst müsstest die Sache in die Hände nehmen, dann reite mit einer Schar meiner Soldaten los und forsche nach deiner Schwester."
„Ich ziehe es vor, zu bleiben, wo ich bin, damit ich dich im Auge behalten kann", entgegnete Alan gereizt.
Adrian zuckte mit den Schultern. Die Bemerkung traf ihn ebensowenig wie all die anderen verletzenden Äußerungen, die Alan de Vere ihm bisher an den Kopf geworfen hatte.
Verbissen die Lippen zusammenpressend, wandte Meriels Bruder sich ab und starrte auf den im Schein der Nachmittagssonne flimmernden Fluss. Zuerst hatte er Adrian de Lancey für einen kalten, gefühllosen Mann gehalten, mit der Zeit jedoch begriffen, dass dieser nicht minder unter Meriels Verschwinden litt als er. Hinter der äußerlichen Gelassenheit verbarg sich große Besorgnis um seine Gemahlin, was immer zwischen den beiden vorgefallen sein mochte. Bei aller Selbstbeherrschung konnte der Earl of Shropshire nicht verleugnen, dass er Meriel gern hatte.
Im stillen gestand Alan sich ein, dass Warfield recht hatte und es besser war, sich auf die Erkundigungen seiner Mannen zu verlassen. Die Ungewissheit indes war unerträglich und rief Alan in Erinnerung, wie verzweifelt er noch vor wenigen Monaten nach Meriel Ausschau gehalten hatte.
Tags zuvor, nach der Ankunft in der Veste, hatte er mit dem Schwager bis weit in die Nacht ausgeharrt und auf Neuigkeiten gewartet. Immer wieder waren Boten eingetroffen, jedesmal ohne Gewissheit bringende Meldungen. Und bis jetzt hatte sich auch nichts ergeben.
Die Kuriere kamen mit leeren Händen. Der Regen hatte alle Spuren verwischt, und natürlich war bei dem Unwetter kaum jemand im Freien gewesen. Leibeigene hatten zwar eine junge Frau auf einem Rotfuchs beobachtet, die dem Königlichen Walde zustrebte, doch dort schien sie vom Erdboden verschluckt.
Alan konnte sich nicht erklären, warum Meriel nicht nach Avonleigh gekommen war.
Vielleicht hatte das Pferd gescheut, durch einen Blitz verstört, und sie war abgeworfen worden. Dann konnte es lange dauern, bis sie irgendwo um Hilfe bat. Andererseits bestand stets die Gefahr, dass sie von wilden Tieren angegriffen wurde. An diese Möglichkeit mochte Alan nicht denken. Vielmehr hoffte er, dass Meriel bei einem Köhler Schutz vor dem Sturm gesucht hatte, oder zumindest in einer
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