historical gold 036 - Der Flug des Falken.doc
er sich wohl auch bereit, auf die Grafschaft zu verzichten. Alan bezweifelte indes, ob das eine wie das andere genügen würde, die Schwester vor Unbill zu bewahren. Die Brauen zusammenziehend, blickte er wieder zu Wenlock Castle hinüber und sagte entschlossen: „Wenn du heute nacht dort hinauf willst, dann nur mit mir!"
„Mich dünkt, jetzt bist du nicht mehr ganz bei Verstand", erwiderte Adrian barsch. „D u würdest es tagsüber nicht schaffen, geschweige denn im Dunklen!"
„Du kannst mir ja, wenn du die Klippe überwunden hast, ein Seil herabwerfen", fuhr Alan unbeirrt fort. „Die Gewähr, dass du Meriel befreien kannst, ist viel größer, wenn jemand dir den Rücken deckt."
„Und du wirst nicht der Versuchung erliegen, mir plötzlich einen Dolch hineinzustoßen?"
fragte Adrian belustigt.
Alan spürte, wie das Blut ihm in die Wangen stieg. Die unleugbare Zuneigung, die der Earl of Shropshire für Meriel empfand, und die Zielstrebigkeit, mit er sein Vorhaben verfolgte, hatten Alans Einstellung zu ihm verändert. Noch brachte er es indes nicht über sich, dem Schwager das einzugestehen. „Das Vergnügen, mit dir abzurechnen", sagte er rau, „hebe ich mir auf, bis meine Schwester in Freiheit ist."
Adrian fand es weiser, nichts darauf zu antworten, und mit einem verhaltenen Lächeln auf den Lippen wandte er sich wieder der Felswand zu, um sich jede Spalte, jeden Riss und auch den kleinsten Vorsprung gut einzuprägen.
16. KAPITEL
Richard de Lancey war es gelungen, eine Waschmagd zu finden, die sich in Wenlock Castle auskannte. Rosceline gehörte zum Gesinde und war, als Adrian of Warfield mit seinen Truppen vor der Burg aufmarschierte, bei den Eltern im Weiler zu Besuch. Es hatte Richard nicht viel Überredungskunst gekostet, sie zu bewegen, sich ihm anzuvertrauen. Der Hinweis auf die Stärke des Heeres und das Versprechen, bei einem Sieg Gnade vor Recht ergehen zu lassen, hatten genügt.
Mit dem Beistand des Mädchens zeichnete Alan de Vere dann auf einem Pergament einen Plan der Befestigungsanlagen und Räumlichkeiten der Burg. Rosceline kannte die genaue Lage des Verlieses, wies auf andere Örtlichkeiten hin, wo Meriel gefangengehalten werden konnte, und wusste sogar, in welchen Abständen die Wachen wechselten. Sie beschrieb die Wehrgänge, erklärte ausführlich, wo Soldaten, Dienerschaft und Knappen schliefen, und gab die vom Seigneur bewohnten Räumlichkeiten an.
Adrian de Lancey staunte, wie gut Rosceline sich aus kannte. Vermutlich gehörte sie zu den Weibern, die entweder neugierig oder heißblütig waren. Kein Winkel, kein noch so verborgener Ort war offensichtlich ihrer Aufmerksamkeit entgangen.
Der Earl of Shropshire ließ sich von seinen Pagen erst in einen flachsgefütterten Leibrock, dann in eine dunkelbraune Cotte helfen und die ledernen Beinlinge verschnüren. Der Knappe gürtete ihm den Waffengurt mit dem Kurzschwert über den schwarzen Gambesson und wickelte ihm ein langes Seil schräg über Schulter und Brustkorb. Es würde ihn zweifellos beim Aufstieg behindern, doch das war nicht zu ändern.
Schließlich schwärzten die Edelknaben ihm das Gesicht mit Holzkohle und drückten ihm eine enganliegende Le derkappe auf die blonden Haare. Es war ratsamer, sie zu verhüllen, damit niemand auf den hellen Fleck aufmerksam wurde, falls ein Mondstrahl ihn traf.
Mit zusammengepressten Lippen hatte Richard de Lancey die Vorbereitungen beobachtet, jedoch keine neuen Einwände gegen das Vorhaben erhoben. Der Halbbruder hatte alle Bedenken in den Wind geschlagen und gemeint, Gott würde ihn schützen.
„Du bist abgesichert, Richard, falls mir etwas zustoßen sollte", sagte Adrian of Warfield, nachdem die Junker das Zelt verlassen hatten. „Maud of England und Henry Plantagenet haben zugestimmt, dich als meinen Erben anzuerkennen. Bestimmt wirst du den Titel ebenso gegen Stephen und seine Barone verteidigen müssen wie die gesamte Grafschaft, aber ich bin der festen Überzeugung, dass du dich durchsetzen wirst."
„Komm zurück und erwehre dich selbst aller Wid ersacher!" entgegnete Richard de Lancey mürrisch.
„Bruder", erwiderte Adrian warmherzig, „ich kann deine Sorge gut verstehen. Du musst jedoch begreifen, dass der von mir gewählte Weg der beste und schnellste ist, um Meriel zu befreien. Wer weiß, wie sehr Burgoigne sie peinigen und drangsalieren würde, wenn die Verhandlungen sich hinzögen? Ich gebe zu, es ist ein waghalsiges Unterfangen, aber ich habe nicht vor, meine
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