historical gold 036 - Der Flug des Falken.doc
geschah es ihr recht. Sie hatte sich wirklich allzu leichtsinnig benommen. Gewiss hätte sie besser daran getan, daheim zu bleiben und beim Backen zu helfen.
Nach etwa einer Viertelmeile sah sie, dass die Spur des Bären in der weichen Erde vom Pfad abwich, während die Hufabdrücke des Pferdes geradeaus verliefen. Da sie kein Anzeichen eines Kampfes bemerken konnte, nahm sie an, dass die Stute unbeschadet entkommen war. Wenn sie Glück hatte, fand sie das Tier irgendwo friedlich grasend; wahrscheinlicher war jedoch, dass es zum Stall gelaufen war.
Nach einer weiteren Meile vernahm sie beim Betreten einer Lichtung das vertraute Quittein des Pelegrin. Erstaunt blickte sie zu den Wipfeln und entdeckte ihn auf einem Ast.
„Du elender Mäusefänger!" rief sie empört, und Chanson beugte den Kopf, ganz so, als habe sie die Worte verstanden und schäme sich.
Unverzüglich griff Meriel in die Falknertasche, entnahm ihm das Federspiel und lockte den Vogel. Er erhob sich, kreiste einen Moment über der Wiese und stürzte sich dann auf die vermeintliche Beute.
Meriel eilte zu ihm, stülpte ihm die Lederhaube über den Kopf und legte ihm Langfessel und Geschüh an. Sie war froh, dass sie zumindest ihn wiederhatte. Wenn sie nun auch noch die Stute fand, kam sie noch glimpflich davon.
Ihn auf die behandschuhte Linken setzend, wollte sie sich erneut auf den Heimweg machen, da hörte sie Pferde schnauben. Sie drehte sich um und sah sich jäh einer heranpreschenden Reiterschar gegenüber. Sie erschrak und blieb, zu erstarrt über den unvermuteten Anblick, wie ange wurzelt stehen.
„Halt!" befahl einer der sechs Männer und zügelte kaum vier Schritte von ihr entfernt sein Pferd.
Verwirrt schaute sie auf die drei prächtig gekleideten Herren und die edlen, mit kostbarem Gereite geschmückten Rosse, bis sie begriff, dass sie eine hochherrschaftliche Jagdgesellschaft vor sich hatte. Angesichts der neugierigen Blicke, die sie und den Falken trafen, wurde sie sich voll Unbehagens bewusst, dass sie den Seigneurs schutzlos aus geliefert war. Im allgemeinen beachteten Ritter die Regeln der Höflichkeit, im besonderen jedoch musste das keinesfalls immer zutreffen.
Dem Gepränge nach zu urteilen, musste es sich um das Gefolge eines Standesherren von höchstem Range handeln, wahrscheinlich das des Earl of Shropshire. Die Frage war nur, welcher der beiden Rivalen das Häuflein anführte. Meriel kannte weder den einen noch den anderen und versuchte sich zu erinnern, was sie über die Widersacher ge hört hatte. Viel war es nicht, aber jeder galt als erfahrener, gnadenloser Heerführer. Hoffentlich war es Guy de Bur-goigne, der sich mit seinen Gefährten hier eingefunden hatte, denn als treue Anhängerin des Königs würde er sie gewiss unbehelligt des Weges ziehen lassen. Sollte es jedoch der andere Earl sein, der Parteigänger Mauds of England, bekam sie bestimmt Ärger.
Die Gruppe hatte einen Halbkreis um sie gebildet, und sie vermutete, dass der mittlere der drei Chevaliers, ein hochge
wachsener, blondhaariger und ganz besonders prunkvoll gewandeter Mann, der Earl war. Noch nie hatte sie jemanden wie ihn gesehen. Er wirkte auf sie wie eine Gestalt aus den Weisen, die fahrende Sänger bei Festmählern auf Mylord Moretons Burg vorgetragen hatten.
„Parbleu!" sagte er belustigt, während er mühelos das unruhig tänzelnde Roß bändigte.
„Das Weib hat einen Pelegrin!"
Meriel konnte seine Verwunderung gut begreifen. Wanderfalken, insbesondere die schwarzen, galten als vorzügliche Beizvögel und wurden nur von Höhergestellten und nie von einfachen Leuten gehalten. In der verschmutzten Tunika machte sie natürlich eher den Eindruck einer Bauernmagd denn einer Frau vornehmer normannischer Herkunft.
Ehe sie das Missverständnis aufklären konnte, brummte einer der Ritter: „Ja, Richard! Und sie hat ihn zur Jagd eingesetzt!" Er schwang sich vom Pferd, warf die Zügel einem der weniger reich gekleideten Männer zu und kam auf Meriel zu. „Wer bist du, Maid, und was hast du zu deinen Gunsten vorzubringen?"
„Vielleicht versteht sie dich nicht, Walter", warf der dritte Seigneur ein.
„Mach deine Reverenz vor dem Earl of Shropshire, Kind!" forderte der Mann namens Walter sie.
Immer noch unschlüssig, welcher der beiden übrigen Herren der Earl sein konnte, wollte Meriel dem Richard Genannten die Ehre erweisen, unterließ es jedoch, da er spöttisch schmunzelte. Er schien sich über sie zu amüsie ren, und sie wollte nicht,
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