HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
nahegekommen. Trotzdem schüttelte sie entschieden den Kopf. „Du hättest ja auch ein Dieb sein können“, meinte sie. „Jemand, der unser Schiff ausrauben wollte, solange noch niemand an Bord war.“
„Bethany, gib es doch zu“, entgegnete Kane unerwartet schroff, „dass du hofftest, der Lord der Nacht sei zurückgekommen, um erneut heiße Küsse mit dir zu tauschen. Wir sind doch beide viel zu sehr der Wahrheit verpflichtet, als dass wir einander hintergehen oder belügen sollten.“
„Ich dachte, der Räuber sei dir völlig egal.“
„Daran halte ich auch fest.“
„Ha, und wer versucht jetzt, sich vor der Wahrheit zu drücken?“ Sie hob den Kopf und sah ihm unerschrocken in die Augen. „Ist der Herr der Nacht der Grund dafür, dass du mich niemals versuchst zu küssen? Befürchtest du etwa, ich könnte deine Küsse nicht genießen, weil seine Zärtlichkeiten so überwältigend waren?“
Ein seltsames Lächeln erschien auf Kanes Zügen. „Bittest du mich etwa, dich zu küssen?“
„Hast du Angst, mir diesen Wunsch zu erfüllen?“
Vielleicht lag es an dem Glanz in ihren Augen oder an dem keck gehobenen Kinn. Kane vergaß auf jeden Fall in dieser Sekunde alle Versprechen und guten Vorsätze, die er sich selbst gegeben hatte. Ungestüm riss er Bethany an sich, die einen winzigen Moment lang Angst vor der offen erkennbaren ungezügelten Leidenschaft in seinem Blick bekam.
Doch beinahe im selben Augenblick schlug ihr eigenes Verlangen wie eine heiße Flamme in ihr hoch. Sie verzehrte sich nach seinem Kuss und hoffte gleichzeitig, unter dem Druck seiner Lippen die Leidenschaft, die sie in den Armen des Wegelagerers empfunden hatte, zu vergessen.
Bethany wollte und musste mit jenem Teil ihres Lebens endgültig abschließen und zu dem Punkt gelangen, an dem sie die gleichen überwältigenden Gefühle für Kane Preston verspürte.
„Küss mich, Kane“, flüsterte sie heiser und hob ihm verlangend das Gesicht entgegen. Sie spürte, wie er sich verspannte in dem Bestreben, sich zurückzuhalten. Damit verstärkte er ihr Bedürfnis jedoch noch. „Oder hast du tatsächlich Angst?“
„Du bist eine Hexe, weißt du das?“ Während er ihr tief in die Augen sah, ließ er die Hände über ihre Schultern und die Arme gleiten. „Eine Hexe, die ganz genau weiß, dass ich einer Herausforderung niemals widerstehen kann.“ Er zog sie dichter an sich.
„Darauf hatte ich gehofft.“ Ihr Herz begann, ungestüm zu klopfen. Sie wartete und wartete … jetzt … endlich würde er sie küssen …
„Hallo, Bethany, mein Mädchen!“ Newtons Stimme erklang vom Strand her und durchbrach die morgendliche Stille. Sowohl Bethany als auch Kane hoben verwirrt den Kopf.
„Bist du da draußen auf dem Schiff, Bethany? Ich brauche das Boot, um die Besatzung an Bord schaffen zu können.“
Eine Woge der Enttäuschung durchflutete Bethany, als Kane die Hände sinken ließ und einen Schritt zurücktrat. Der Bann war gebrochen. Und wieder einmal fühlte sie sich, als hätte man sie auf der Schwelle zum Unbekannten allein gelassen. Sie war dem Himmel ganz nah gewesen. Oder der Hölle. So oder so hätte sie auf jeden Fall erstmals Gelegenheit gehabt, eine Ahnung von Kanes Männlichkeit zu bekommen.
„Du bleibst am besten hier“, sagte er jetzt und strebte eilig Richtung Strickleiter, die auf der anderen Seite über die Reling hing. Er konnte gar nicht schnell genug wegkommen. „Ich werde Newt und die Matrosen holen.“
Bethany saß in einem Stuhl an Deck und nippte an ihrem Tee. Zum Schutz gegen die Sonne hielt sie einen Sonnenschirm in der Hand. Die Bänder ihres Hütchens flatterten im Wind, und sehnsüchtig schaute sie den Matrosen zu, die in der Takelage herumkletterten und die Segel setzten.
Wie gern wäre sie jetzt mitten unter ihnen gewesen. Ihre Schwestern und sie waren mit solcherlei Aufgaben seit frühester Kindheit vertraut und später die besten Matrosen an Bord der Undaunted gewesen.
Doch nun saß Bethany hier tatenlos herum und gab sich redlich Mühe, wie eine Dame aufzutreten, anstatt die Tätigkeiten auszuüben, die sie so sehr liebte. Sie hatte die Beine in Höhe der Knöchel brav übereinandergelegt und wippte ungeduldig mit einem Fuß.
Doch wenigstens war es Kane erlaubt worden, das Schiff zu steuern. Die Seeleute, zunächst noch ein wenig scheu und unbeholfen ihm gegenüber, hatten schnell Vertrauen zu ihm gefasst und redeten und lachten inzwischen mit ihm, als wäre er einer der Ihren.
Von
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