Historical Lords & Ladies Band 40
Worte wären für sie bestimmt. Was versuchte er ihr mitzuteilen? Dass er den Tod seiner Frau endlich überwunden hatte? Wenn ja, warum glaubte er, das würde sie interessieren? Einfach lächerlich …
Entschlossen verdrängte sie diese Gedanken und betrachtete durch das Kutschenfenster die vertraute Landschaft, die an ihr vorbeizog. Wie oft war sie diese schmalen Straßen entlanggeritten, um Georgiana zu besuchen! Nicht nur ihretwegen, gestand sie sich ein. Schon in früher Jugend hatte sie für den großen Bruder ihrer Freundin geschwärmt.
Anfangs hatte er nur ein nettes kleines Mädchen in ihr gesehen. Das änderte sich, als sie sechzehn wurde. Von da an war er diese Straßen entlanggeritten, um sie zu besuchen. Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Nicht zum ersten Mal staunte sie über seine Veränderung. Die Jahre in Indien hatten seine Züge verhärtet, aber sein Wesen gemildert. So nachsichtig, wie er Sophie jetzt behandelte, war er früher mit Giles und Georgiana nicht umgegangen. Aber es musste sehr schwierig für ihn gewesen sein, die mutterlosen jüngeren Geschwister zu betreuen und Pflichten zu übernehmen, die der Vater vernachlässigt hatte. Zu dieser Verantwortung gezwungen, war Christian vorzeitig erwachsen geworden und hatte sich schon mit zwanzig Respekt verschafft.
Megan lächelte wehmütig. Auch sie war in Ehrfurcht vor ihm erstarrt. Niemals hatte sie seine Entscheidungen infrage gestellt und alle seine Anweisungen bereitwillig befolgt. Was für ein fügsames kleines Ding sie gewesen war! Nun, mittlerweile hatte sie sich ebenfalls verändert. Und wenn er sich einbildete, sie wäre ihm immer noch in blindem Gehorsam ergeben, würde sie ihn eines Besseren belehren. Sie riskierte einen weiteren Blick in seine Richtung, was sie sofort bereute, denn er wandte sich zu ihr. Bedeutete das herausfordernde Funkeln in seinen Augen, dass er ihre Gedanken erriet?
„Schau doch, Tante Megan!“, rief Sophie, während der Wagen in die Zufahrt ihres einstigen Heims bog. „Wie die Linden gewachsen sind!“
„Natürlich hat sich in den letzten Jahren einiges verändert.“
„Das Haus nicht“, versicherte Christian.
Als die Kutsche hielt, sprang er auf den Kies und half den Damen auszusteigen. Ein distinguierter Majordomus öffnete die Haustür. Ehe Megan die fremdartige Einrichtung der Halle genauer mustern konnte, wurden sie in den Salon geführt.
Lächelnd erhob sich Lavinia Fortescue, eine attraktive, elegant gekleidete Frau, vom Sofa. „Wie nett von Ihnen, uns zu besuchen, Christian, und Ihr hübsches Mündel mitzubringen!“ Dann ergriff sie Megans Hand. „Mein Mann und ich haben uns so darauf gefreut, Sie kennenzulernen, Miss Drew.“ Eifrig geleitete sie die Gäste zu zwei Gentlemen, die am Fenster standen, und machte die Damen mit ihrem korpulenten, freundlichen Gemahl bekannt. Aber es war der Mann an Frederick Fortescues Seite, ein neuer Bekannter der Familie namens Lancelot Kent, der Sophie den Atem nahm und sogar Megans Verblüffung erregte.
Ohne jeden Zweifel hatte sie noch nie einen schöneren Mann gesehen. Von dichten goldblonden Locken umrahmt, erinnerten seine ebenmäßigen Züge an antike Statuen. Ein perfekter Apoll, dachte sie. Das musste auch Christian auffallen.
Unwillkürlich verglich sie die beiden Männer, die sich nur kurz die Hände schüttelten und einander kein Lächeln schenkten. In der Größe, im Alter und Körperbau ähnelten sie einander. Ansonsten waren sie grundverschieden. Im Gegensatz zu Christians gebräuntem, zerfurchtem Gesicht hatten Mr Kents helle Wangen der Zeit keinen Tribut gezollt. Seinen schräg gestellten grauen Augen fehlte Christians Humor, und die vollen Lippen zeigten einen verächtlichen Ausdruck.
Nach dem Einbruch in Moor House hatte Christian sich bei mehreren Leuten erkundigt, ob irgendwelche Fremde in der Nachbarschaft eingetroffen seien, und von Mr Kents Ankunft erfahren. „Wie ich höre, sind Sie Kunstmaler und wohnen im Dorfgasthof.“
Wenn Lancelot Kent überrascht war, weil Christian so viel über ihn wusste, ließ er sich nichts anmerken. „Ja, Sir, ich beabsichtige, einige Landschaftsskizzen anzufertigen. Eigentlich hatte ich gehofft, es würde schneien. Aber ich bin nicht allzu enttäuscht. Diese Gegend ist wunderschön, und ich genieße es, dem Lärm und Gestank der Hauptstadt für eine Weile zu entrinnen.“
„Das kann ich gut verstehen …“, begann Lavinia Fortescue, dann wurde sie von ihrer ältesten Tochter Eve
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