Historical Platin Band 04
seinem Bruder Geoffrey, wohingegen Prinz John sich von beiden sowohl im Aussehen wie auch im Charakter unterschied. Er war dunkelhaarig, von kleinem, gedrungenem Wuchs, wirkte fahrig und labil.
Unter dem Geschmetter der Trompeten begaben die hohen Herrschaften sich zu der Estrade, und dann herrschte einen Augenblick lang Stille. Der Herold hob das mit dem Emblem des Herrschers geschmückte Schellhorn und stieß dreimal hinein.
„Ich hoffe, Seine Majestät wird verkünden, dass seine Söhne sich versöhnt haben“, raunte Richard hastig der Gattin zu.
Im Saal war Schweigen eingetreten. Verdrossenen Angesichtes stand der Souverain vor seinen Vasallen und harrte aus, bis Giraldus Cambrensis, sein Hofkapellan, das Bittgebet gesprochen hatte. Dann tat er kund, dass die Prinzen John, Geoffrey und Richard sich gütlich geeinigt hätten.
Jubel folgte seinen Worten, und unter Hochrufen umarmten sich die bisher zerstrittenen Brüder. Henry ließ sich in seinem reich geschnitzten Scherenstuhl nieder, dann setzten sich die männlichen Mitglieder des Hauses Plantagenet, und schließlich nahmen die edlen Frauen Platz. Ihnen schlossen sich die anwesenden Kavaliere an und zum Schluss die Damen.
Es wurde aufgetischt, und entgegen dem allgemein bekannten Geiz des Königs wurden die köstlichsten Speisen serviert – geröstete Pfauen, Kraniche und Rohrdommeln, Fleisch vom Ochsen, Hirsch und Bock, Geflügel aller Arten und Früchte des Meeres, gesotten und gebraten. Unzählige Krüge Bier wurden ausgeschenkt, und die Tafeldecker füllten die Pokale mit gewürztem Wein und Burgunder. Nachdem der Vorkoster den ersten für das Brett des Königs bestimmten Bissen probiert und für ungefährlich befunden hatte, legte der Vorschneider dem Herrscher das zarteste Stück Fleisch vor. Gierig begann Henry zu speisen, und nun konnte jeder sich dem Essen widmen.
„Wisst Ihr, Sire, warum Monseigneur Geoffroir anderen Sinnes geworden ist?“, wandte Mellisynt sich an den Gatten.
„Nun, sein Vater hat ihm gestattet, gegen Raymond, Comte de Toulouse, Truppen ins Feld zu führen“, antwortete Richard achselzuckend, „damit er sich für die Zahlungen, die er für die Fahrt seines Bruders Richard zur heiligen Stadt Jerusalem zu leisten hatte, schadlos halten kann.“
„Hat denn der Markgraf sich gegen den Grandseigneur erhoben?“, fragte Mellisynt überrascht.
„Nein, doch er wird unverzüglich ein Heer aufstellen, sobald er vernimmt, dass König Henry sich den Anspruch der Herzöge von Aquitanien auf die Herrschaft über Toulouse zu eigen gemacht hat. Schließlich hat der Großvater der Königin die Tochter des Comte Guillaume de Toulouse geheiratet. In den Augen unseres Monarchen gilt sie als die einzig legitime Erbin der Grafschaft. Nun soll Monseigneur Geoffroir die nördlich von Toulouse gelegene Veste Montauban einnehmen, um einen Stützpunkt für weitere Eroberungszüge zu haben. Schon in sieben Tagen muss ich mit ihm dorthin aufbrechen.“
Entgeistert schaute Mellisynt ihn an. Er wirkte vollkommen gelassen, als sei es ihm gleichgültig, dass es zu neuen kriegerischen Auseinandersetzungen kommen würde. Erneut wurde sie sich gewahr, wie wenig sie ihn kannte, und gelangte zu der Einsicht, sie werde gewiss nie begreifen, warum Männer Gefallen an blutigen Fehden und fortwährendem Landstreit fanden. „Wie kann es Euch zufrieden stimmen, Sire, dass es schon wieder zu Übergriffen kommt?“, fragte sie vorwurfsvoll. „Ich war der Ansicht, Ihr erstrebtet für die Bretagne eine lange Zeit des Friedens.“
Erstaunt hob Richard eine Braue und entgegnete: „Die Bretagne wird nicht betroffen sein, Madame. Die Auseinandersetzungen finden in Toulouse statt, fern dem Gebiet, über das der Herzog die Oberhoheit ausübt. Im Übrigen werden unsere Heere durch Söldner des Königs verstärkt. Diesmal tragen wir die Gefechte im Namen des zweiten Henry aus, dem die Last der Kosten obliegt, wohingegen unser Landesherr sich bereichern kann. Das ist ein ehrenhafter Ausgleich für dessen von mir erwähnte Ausgaben für den Kreuzzug seines Bruders ins Heilige Land.“
„Dem mag so sein“, erwiderte Mellisynt ungehalten. „Indes lauft Ihr Gefahr, Sire, verwundet oder gar getötet zu werden, und das nur, weil Ihr einem unbesonnenen Mann verpflichtet seid, der Euch zu Ehren erhoben hat.“
„Schweigt!“, herrschte Richard erzürnt die Gattin an. „Ich verbiete Euch, in despektierlichem Ton über ihn zu sprechen!“
Sie atmete tief durch und
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