Historical Platin Band 04
muss ein jeder für sich befinden, aufseiten welcher Partei er sich stellen will. Dann ist es möglicherweise nicht leicht zu beschließen, ob man dem Landesherrn die Treue hält oder sich gegen richten will. Es hängt vom eigenen Ermessen ab, ob der Standpunkt des Souverains als rechtens erachtet werden kann. Was mich betrifft, Madame, so stellt sich mir diese Wahl nicht, denn ich bin Monsieur le Duc de Bretagne treu ergeben. Indes solltet Ihr Euch nicht schon jetzt um mich grämen“, fügte Richard weich hinzu. „Es lag mir fern, Euch zu erschrecken, aber ich glaube, es ist besser, wenn Ihr mit dem Schlimmsten rechnet, auch wenn Gott der Allmächtige mich davor schützen möge. Vergesst meinen Wahlspruch nicht, Madame. Was mein ist, bewahre ich mir. Und das heißt, dass ich alles daransetzen werde, nicht zu Schaden zu kommen.“
„Ich entsinne mich sehr gut, Monsieur“, entgegnete Mellisynt ein wenig vorwurfsvoll, „dass ich in der Abfolge der Dinge, die Euch wert sind, noch unter Euren Rossen rangiere.“
„Oh, seid Ihr mir dieser Bemerkung wegen noch immer nicht hold, Madame?“, fragte Richard belustigt. „Würde es Euch freuen zu hören, dass ich geneigt bin, die erwähnte Rangordnung zu überdenken? Der Anlass, Madame, ist rasch erklärt. Sosehr ich mein Streitross schätze, so wenig bin ich gelaunt, es zu küssen“, setzte er auflachend hinzu, zog die Gemahlin an sich und gab ihr einen stürmischen Kuss.
Willig ließ sie ihn gewähren, froh darüber, dass sie allein im Garten weilten und den Blicken Neugieriger entzogen waren. Begierig erwiderte sie seine Zärtlichkeiten, schlang verlangend die Arme um ihn und drückte ihn fest an sich. Minneglut regte sich, und der Wunsch, ihm beizuwohnen, denn seit der Abreise aus Nantes hatten sie das Lager nicht teilen können.
Widerstrebend hob er den Kopf und murmelte rau: „So du mir beweisen willst, dass ein Weib einem Mann gänzlich andere Möglichkeiten zu bieten hat als sein Schlachtross, hätten wir uns nicht hier treffen dürfen. Ich sehne mich danach, endlich wieder ungestört mit dir zu sein.“
„Ich auch“, flüsterte Mellisynt.
„Drängt es dich so, endlich gesegneten Leibes zu sein?“, fragte Richard erstaunt, nahm sie bei der Hand und schlug mit ihr den Weg zum Innenhof ein.
Sie wusste nicht, was sie ihm antworten solle. Plötzlich fiel ihr auf, dass sie das nach ihm empfundene Verlangen nicht mehr ausschließlich mit dem Wunsch verband, guter Hoffnung zu werden. Verwundert überlegte sie, seit wann das der Fall sein mochte, wann der Moment eingetreten war, da sie im Gatten den Mann sah, den sie um seiner selbst willen ersehnte. Überrascht fragte sie sich, ob es Liebe sei, was sie für ihn empfand, und hielt sich vor, das nicht beurteilen zu können. Zumindest hatten die Regungen, die sie bewegten, nichts mit der von den Troubadouren besungenen Minne zu tun. Vielleicht beruhten sie nur auf fleischlichen Gelüsten. Möglicherweise war sie wirklich die verderbte Tochter Evas, als die Bruder Anselm sie geziehen hatte, der es nur darauf ankam, niedere Bedürfnisse zu befriedigen.
Nachdenklich schaute Richard sie auf dem Weg zum Palas immer wieder an, blieb schließlich vor der Tür ihrer Kammer stehen und sagte beruhigend: „Macht Euch meinetwegen keine Sorgen, Madame. Ihr wisst, dass ich mir das, was mein ist, bewahre.“ Er hob die Hand der Gemahlin an die Lippen und äußerte dann verschmitzt: „Ich habe den Dingen, die ich schätze, eine andere Präferenz gegeben. Inzwischen rangiert Ihr vor meinem Streitross, und eines Tages werde ich Euch wohl sogar höher schätzen als mein Langschwert. Und nun entbiete ich Euch meinen Gruß. Später werde ich Monsieur Barthélemy zu Euch entsenden, der Euch und Mademoiselle de Brissac zur Tafel geleiten kann.“
9. KAPITEL
Beim Betreten des Gemachs sah Mellisynt sich einer aufgeregten Schar von Frauen gegenüber. Verdutzt schloss sie die Pforte und betrachtete das sich ihr bietende Bild. Kammermägde waren damit beschäftigt, edle Gewänder aus Truhen zu holen, sie hochzuhalten und auszuschütteln. Auf geschlossenen Kasten lagen Roben aus kostbaren Stoffen, Fibeln und Armspangen, Handschuhe aus Brokat, güldene, mit kostbaren Steinen verzierte Reifen, linnene Hauben und gefältelte Brusttücher.
Die im selben Raum nächtigenden Damen zeigten sich gegenseitig ihre liebsten Kleider, machten Scherze und ließen sich von den Dienerinnen aufputzen. Die
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