Historical Platin Band 04
war. Oft war sie nicht imstande gewesen, rasch einzuschlafen, und von der Demoiselle, die sich durch sie gestört gefühlt hatte, aufgefordert worden, sich ein mit Fenchelsud getränktes Tuch auf die Stirn zu legen.
Ablenkungen boten ihr der Sloughi, den der Gatte ihr belassen hatte, und der Page Colet. Dank sorgfältiger Pflege waren die Verletzungen des Hundes abgeheilt, und inzwischen konnte er auch wieder den rechten Hinterlauf benutzen. Er trat zwar noch etwas vorsichtig auf, stöberte jedoch gern und zum großen Ärger der Mannschaft an Deck herum. Nachts legte er sich vor die Schwelle der zur Kabine führenden niedrigen Tür, bewachte sie und knurrte sofort, wenn jemand sich ihr näherte.
Colet verübte einen Streich nach dem anderen und versetzte nicht nur Mellisynt in helle Aufregung. Es kam zu einem ärgerlichen Auftritt mit dem Schiffsmeister, nachdem der Junge neugierig auf den Steven gelaufen und auf die Vorderstange geklettert war. Mellisynt machte dem Knaben Vorhaltungen und wies ihn auf die Gefährlichkeit seines Tuns hin, doch bald darauf musste er aus dem Wasser gezogen werden, da er beim Entladen von Fässern hatte helfen wollen und vom Kai gestürzt war. In ihrer Verzweiflung, und um weitere Kalamitäten zu verhindern, hielt sie ihn dazu an, seine Fertigkeiten beim Würfelspiel zu vervollkommnen. Lange vermochte sie ihn indes nicht damit zu fesseln.
Zu ihrer Beunruhigung gesellte Mademoiselle de Brissac sich recht häufig zum Kapitän, schäkerte mit ihm und führte sich in einer Weise auf, deren eine wohlerzogene Dame sich hätte enthalten müssen. Zudem war der noch junge Mann erst seit Kurzem vermählt und freute sich auf das Wiedersehen mit seiner in Edgemoor weilenden Gattin. Mellisynt tadelte die Demoiselle jedoch nicht, weil er nicht den Eindruck erweckte, auf deren leichtfertige Bemühungen einzugehen, sondern sich mit gebührendem Anstand verhielt.
Schließlich segelte man in die Mündung des Humber und hielt auf Kingston zu. Nach einem weiteren Tag legten sie bei nebliger Witterung an der Mole an. Mellisynt raffte den Mantel fester um sich, hielt die Kapuze unter dem Kinn zusammen und schaute dem Ausladen der Waren und der Truhen zu.
Der Rest der Reise nach Edgemoor führte über Land. Der Kapitän heuerte einen Fuhrmann an, auf dessen Wagen die Damen und ihre Begleiterinnen die Fahrt antraten. Sie nahm weitere fünf Nächte in Anspruch, doch dann tauchten aus dem Dunst die Türme der Burg auf, die Mellisynt zum neuen Heim bestimmt war.
Die Gegend wirkte einsam und unwirtlich, und irgendwie schien das Firmament sich weiter und tiefer über die Erde zu wölben. Aufgeregt betrachtete Mellisynt die nicht weit von der Küste stehende, hoch über der hügeligen, moorigen Landschaft aufragende Veste. Sie machte auf sie einen schroffen, abweisenden Eindruck, der nicht den Kastellen, Ansitzen und Ritterhäusern entsprach, die sie aus der Heimat kannte. Indes passten das trutzige Bauwerk und die raue Umgebung gut zu ihrem Gatten, der, wie sie mittlerweile erkannt hatte, vom Wesen her auch nicht sehr zugänglich war. Sie verstand, warum er sich bei Hofe nicht wohlfühlte und weshalb er eher hierhergehörte, in dieses raue Land und das mächtige, von einer hohen Schanze umgebene Bollwerk.
Der Tross hielt vor dem Tor an und durfte erst passieren, nachdem man dem Wächter die Ankunft der Burgherrin mitgeteilt hatte. Der Wagen rollte langsam über die den Graben überführende Holzbrücke und gelangte schließlich in den inneren Burghof.
Mächtig erhoben sich der runde Bergfried im Osten, der die zum Meer hin gelegene Seite bewachte, und der zweite, viereckige, mit dem Wohntrakt verbundene Keep. Die auf dem nackten Felsgestein stehenden Mauern waren aus Buckelquadern aufgeführt, die Wohnbauten aus dunklem Holz. In der Mitte des gepflasterten Hofes befand sich ein Brunnen. Unter einem Schutz vor den Unbi, vor den Stallungen, befand sich eine vor den Unbilden des Wetters schutzbietende Arkade, von der aus man zum Portal des Wohntraktes gelangte.
Erstaunlicherweise vermittelte der Anblick der mächtigen Mauern Mellisynt nicht wie in Trémont das Gefühl, eingeengt zu sein. Vielleicht war das auf die endlose Weite des sich unterhalb der auf dem Hügel errichteten Burg ausstreckenden Landes und des sich zur Rechten hinziehenden Meeres zurückzuführen.
Ihr fiel die emsige Betriebsamkeit des Gesindes auf, das fröhliche Lärmen der Knechte, die auf dem Hof herumlaufenden Hunde, Hühner, Enten und
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