Historical Platin Band 04
Schankraum gezogen. „Was willst du denn hier? Bist du einsam?“
Sie starrte den bärtigen, stinkenden Mann an. „Wo ist Selwyn?“, verlangte sie zu wissen. Sie war eher beleidigt als verängstigt. Es war eine Unverschämtheit, dass ein Sachse es wagte, Hand an sie zu legen!
Der Mann grinste. „Das hätten wir uns ja denken können, was, Jungs? Der sucht sich immer die Hübschesten aus!“ Er deutete in eine dunkle Ecke. „Da drüben.“
Ingemar wollte sofort weitergehen, doch der Mann vertrat ihr den Weg und sah sie lüstern an. „Falls er dich nicht haben will – ich will!“
Sie nahm ihn nicht zur Kenntnis und überhörte auch die lästerlichen Ausrufe der anderen Kunden dieser stinkenden Schenke. In einer Ecke saß ein Mann. Er hielt einen Bierkrug in den Händen. Genau konnte sie den Kerl nicht erkennen; in der Ecke war es zu dunkel.
„Bist du Selwyn?“, erkundigte sie sich.
Geräuschvoll setzte der Mann seinen Bierkrug ab. „Wer will das wissen?“ Er blickte hoch, sah sie und lächelte zahnlos. „Nun, das spielt keine Rolle. Setz dich zu mir, meine Schöne.“ Er klopfte neben sich auf die Bank.
Ingemar nahm Platz. „Kennst du den Wikinger Einar?“
„Vielleicht ja, vielleicht nein. Schenke mir einen Kuss, und ich sage es dir.“
Sie schenkte ihm zwar keinen Kuss, dafür jedoch ihr entzückendstes Lächeln, obwohl ihr fast übel wurde von dem Gestank, den der Mann ausströmte. „Antworte mir zuerst; vielleicht bekommst du dann deinen Kuss.“
Selwyn warf den Kopf in den Nacken und lachte laut. „Das ist ein Angebot! Jawohl, ich kenne ihn. Wo bleibt mein Kuss?“
Ingemar hätte lieber ein Schwein geküsst, doch sie gab ihm einen Schmatz auf die Backe. Der Mann schob seine Hand um ihre Taille.
„Ich will zu dem Sachsendorf reisen, das Einar kürzlich überfallen hat“, erklärte sie leise.
„Ich weiß überhaupt nicht, wovon du sprichst. Wie wäre es mit Bier?“
„Ich will kein sächsisches Bier!“ Ingemar wand sich aus dem Griff des Mannes. „Ich will zu diesem Dorf reisen! Ich habe Informationen für den Than.“
Selwyn lehnte sich zurück. „Informationen? Was für Informationen?“
„Ich kann ihm helfen, seine Kinder und diese Frau zurückzuerlangen.“
„Die bekommt er ohnehin zurück. Er braucht nur das Lösegeld zu bezahlen.“
„Ich kann ihm genau sagen, wohin er sich zu begeben hat. Er braucht das Lösegeld gar nicht zu bezahlen.“
Selwyn betrachtete sie argwöhnisch. „Weshalb willst du ihm helfen?“
„Weil ich es eben will.“
Selwyn machte ein nachdenkliches Gesicht. Kendric würde es zweifellos begrüßen, wenn ihm die Möglichkeit geboten wurde, seine Kinder zurückzuerhalten, ohne dass es ihn etwas kostete. Sicherlich würde er etwas für die Nachricht dieser Frau bezahlen. Andererseits bedeutete das eine Schmälerung seiner, Selwyns, Einnahmen.
Allerdings ließe sich mit der Frau selbst ein hübscher Preis erzielen. Kendric oder ein anderer sächsischer Herr würden gut für sie bezahlen.
„Wann wolltest du denn diese Reise antreten – vorausgesetzt, ich würde dich dorthin bringen?“
„Sofort.“
„Es ist noch nicht Frühling.“
„Bis dahin dauert es nicht mehr lange. Wir müssen das Sachsendorf erreichen, bevor die Wikinger wieder dorthin kommen.“
„Sehr richtig. Und wie gedachtest du mich für meine Bemühungen zu entlohnen?“
Ingemar lächelte nur.
Selwyn grinste schleimig. „Wir brauchen doch sicherlich nicht auf der Stelle abzureisen.“
„Falls dir dein Leben lieb ist, sollten wir das tun. Ich bin nicht allein nach Haithabu gekommen. Mein Begleiter wird sehr bald merken, dass ich fortgegangen bin.“
Es wäre so leicht, sich einfach fallen zu lassen. Kein Husten mehr, kein Kampf um jeden Atemzug, einfach nur tief schlafen und bei Betha sein …
Sie schlief nicht; sie schien innerlich zu verbrennen. Dieser furchtbare Durst! Ihre Kehle war heiß und ausgedörrt. Und diese Müdigkeit, diese Schwäche. Nicht einmal die Augen öffnen konnte sie.
Zwar nahm sie verschwommen wahr, dass Hände sie berührten und dass ihr hin und wieder Flüssigkeit eingeflößt wurde, doch davon abgesehen hatte Meradyce alles verloren – das Gefühl für die Zeit, für das Leben und alle Zuversicht. Was spielte es denn schließlich auch für eine Rolle, ob sie überlebte oder nicht? Sie hatte Betha nicht vor dem Tod gerettet. Adelar brauchte sie nicht.
Sie war zu schwach zum Weinen und zu ausgedörrt, um noch Tränen zu haben, die sie
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