Historical Platin Band 04
vergießen könnte. Ja, es wäre wirklich besser, wenn sie sich fallen ließe und sanft hinüberglitte in den immerwährenden Schlaf …
„Geliebte!“
Sie kannte diese Männerstimme; sie gehörte Einar – und doch wieder nicht. Niemals hatte er bisher irgendetwas so sanft und dennoch so verzweifelt geflüstert, nicht einmal im Augenblick größter Leidenschaft.
„Geliebte!“
Sicherlich träumte sie nur, erträumte sich die Hoffnung.
„Ach, meine Geliebte!“ Sie fühlte seinen Kuss auf ihrer Wange, fühlte seine starken Hände, die ihre umfassten. „Bitte verlass mich nicht. Ich brauche dich doch so sehr!“
Sie bewegte sich ein wenig und zwang sich dazu, die Augen zu öffnen. Ja, es war Einar, und er kniete neben ihr.
„Meradyce!“
Sie versuchte, die Hand zu heben und seine Wange zu berühren. Er brauchte sie! Er liebte sie! Nein, sie wollte nicht aufgeben. Für Einar würde sie die Kraft finden, ihre Krankheit zu besiegen.
Sie versuchte einmal tief durchzuatmen, und sofort musste sie wieder husten. Es schmerzte jedoch nicht so sehr wie zuvor. Sie musste schlafen, das wusste sie. Wie oft hatte sie das anderen Kranken schon befohlen! Und sie war ja auch so müde. Sie wollte schlafen, und sie würde gut schlafen, weil Einar bei ihr war, der sie so sehr liebte.
Zuvor musste sie unbedingt noch irgendetwas sagen, damit er wusste, dass sie ihn gehört hatte. Mit großer Kraftanstrengung brachte sie tatsächlich ein Flüstern zustande: „Geliebter!“ Und dann versank sie in Bewusstlosigkeit.
Einar sah Meradyce an und fürchtete sich beinahe davor, zu glauben, dass sie eben gesprochen hatte. Für ihn waren die vergangenen Tage wie eine Vision aus dem Totenland Niflheim gewesen, dem Ort der ewigen Dunkelheit und der Eiseskälte. Genau so erschienen ihm seine Tage ohne Meradyce. Sie allein war sein Licht, seine Wärme.
„Endredi!“, rief er, und sofort war seine Tochter an seiner Seite. „Sie hat etwas gesagt!“
Endredi befühlte Meradyce’ Stirn. Lächelnd schaute sie dann ihren Vater an. „Das Schlimmste ist überstanden.“
„Wird sie überleben?“
„Ja, das wird sie.“
Einar atmete auf, und das hörte sich wie ein Schluchzen an. Er verschränkte die Arme und ließ den Kopf daraufsinken.
Endredi, die mit Kochen beschäftigt gewesen war, wusste nicht recht, ob sie diese Arbeit wieder aufnehmen oder lieber das Haus verlassen sollte. Allerdings würde Meradyce ja jetzt bald eine Speise brauchen. Das Mädchen nahm also den Rührlöffel wieder zur Hand.
„Endredi?“
Sie drehte sich um und sah, dass ihr Vater sich erhoben hatte und jetzt zu ihr kam. Herzlichkeit und Liebe spiegelten sich in seinen grauen Augen. Dieser Ausdruck verblüffte Endredi zuerst, erfüllte sie dann jedoch mit großer Freude.
„Ich danke dir“, sagte Einar leise. „Tochter.“
Aufschluchzend warf sich Endredi in die ausgebreiteten Arme ihres Vaters.
„Ingemar?“, rief Lars leise.
Er blickte sich in dem Zimmer um, das sie teilten, und runzelte die Stirn. Den ganzen Tag und ein gutes Stück in die Nacht hinein war er fort gewesen. Ingemar hatte ihn geschickt, um einige ihrer Schmuckstücke zu verkaufen. Er hatte noch ein paar alte Freunde getroffen, und zusammen waren sie auf ein Bier in einer Schenke eingekehrt.
Antwortete ihm Ingemar jetzt nicht, weil sie böse war? Das würde ihr durchaus ähnlich sehen.
„Ingemar?“ Er ging zum Bett hinüber.
Sigrid hatte ihn rufen gehört und trat jetzt ins Zimmer. Sie mochte den freundlichen dunkelhaarigen Mann; von seiner Frau hielt sie indessen nicht so viel, denn sie stellte immer irgendwelche Forderungen und benahm sich recht ungehörig.
„Sie ist fortgegangen.“
„Wohin ist sie gegangen?“, fragte Lars.
Sigrid zuckte die Schultern. „Das hat sie mir selbstverständlich nicht erzählt und soweit ich weiß auch sonst niemandem.“
„Wann ist sie fortgegangen?“ Der große Mann stand in dem engen Zimmer und sah wie ein verlorener kleiner Junge aus.
„Nun, gleich nach dir.“
„Wo könnte sie denn hingegangen sein? Sie kennt doch hier niemanden.“
„Ich habe wirklich nicht die geringste Ahnung.“ Sigrid wollte schon gehen, ihr fiel indessen noch etwas ein. Vorhin war ihr das recht merkwürdig vorgekommen, doch sie hatte nicht weiter darüber nachgedacht. „Sie führte ein Bündel mit sich.“
Lars war es, als hätte ihn ein Schwert aus Eis durchbohrt. Sofort suchte er in dem Raum nach Ingemars Sachen.
Sigrid zuckte die Schultern und ging
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